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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : der einsame Socke



Honigmond
15.12.2009, 12:46
In einer Schublade lagen sie alle: große und kleine, dicke aus Wolle und dünne mit pastellfarbenen Mustern- die Socken.
Die Fußballsocken fühlten sich wichtig, denn immerhin waren sie einmalig und wurden nur an jenen Tagen herausgeholt, an denen die wichtigen Spiele anstanden.
Stolz prahlten sie vor den anderen: „ Wir sind unersetzlich! Es ist ein so erhabenes Gefühl, wenn wir über die Schienbeinschoner gezogen und gemeinsam mit den Stollenschuhen auf das Fußballfeld getragen werden. Alle bewundern uns und jubeln uns zu. So etwas erleben normale Strümpfe nie im Leben!“
Sie waren tatsächlich sehr farbenprächtig in ihrem knalligen Rot, bis, ja bis sie am Abend nach dem Spiel verdreckt und schlammig in der Waschmaschine wirbelten.
„Nehmt euch doch nicht so wichtig!“ brummte es aus einer Ecke der Schublade.
„Gäbe es uns nicht, hätten die Menschen kalte Füße in der Nacht und könnten nicht schlafen.“
Die Wollsocken hatten schon lange die Nase voll von der Angeberei der Fußballstrümpfe.
Genervt fauchte nun das schwarze Paar dazwischen: „ Wir sind genauso wichtig, wie ihr alle, auch, wenn wir nur Sonntags getragen werden. Denn an diesem besonderen Tag kommt es darauf an, zu dem Anzug und den blank geputzten Schuhen zu passen. Das kann keiner von euch so gut, wie wir.“
„Gäbe es uns nicht, ihr würdet alle nicht gebraucht werden.“ Zischten die 5 abgenutzten Paar Socken gelangweilt in die Runde.
Es waren jene Socken, deren Farben schon abgenutzt, deren Weiß nicht mehr strahlend und deren Muster nur noch verwaschen erkennbar waren.
„Wir sind es, die Tag für Tag die Menschen begleiten. Wenn sie im Garten arbeiten, Sport treiben oder in ihren Turnschuhen schwitzend durch die staubigen Straßen laufen. Aber wir sind die, die all das mitmachen, ihnen treu die Füße bedecken, ohne uns darüber zu beschweren.“
„Ja genau, richtig.“
„Schaut euch doch an, wie ihr ausseht!“ riefen die Sonntagsstrümpfe verachtend.
„Wir werden benutzt, liegen nicht nur für einen Tag in der Woche in der Kommode, deshalb ist unser Soff dünner und unsere Farben nicht so klar. Wir sind nützlich.“
Es entstand nicht zum ersten Mal ein richtiger Streit zwischen den Socken, die paarweise sortiert nebeneinander lagen.
Der Streit wurde lauter, boshafter und die Worte immer verletzender.
Das wäre wohl, wie an jedem anderen Tag, auch so weitergegangen, hätten die dicken Bettsocken nicht das herzzerreißende Schluchzen aus der Ecke gehört.
„Pst, hört doch mal auf! Hört ihr denn nicht, das Schluchzen und Weinen da hinten?“
Plötzlich wurden sie still, mucksmäuschen still.
„Woher kommt es?“
„Wer von uns ist so traurig?“
„Sicher haben die blöden Fußballsocken wieder über die grauen Arbeitsstrümpfe gelacht...“
„Hört auf, Ruhe jetzt!“
Alle lauschten gespannt in die Ecke.
Ihre Blicke gingen vorbei an den Tennissocken , vorbei auch an den Wollsocken... bis in die dunkelste Ecke der Schublade.
Keiner von den anderen Socken hatte überhaupt noch daran gedacht, dass dort ja der kleine, einsame Socke lag. Er sagte nie etwas. Er wurde auch noch nie aus der Schublade geholt, seit er seinen Partnersocken letzten Sommer verloren hatte.
Nun aber war sein Weinen und Schluchzen nicht mehr zu überhören.

Tränen weichten seinen Stoff auf und er stammelte in die schreckliche Stille: „Ihr alle seit wichtig. Ihr werdet getragen und habt eine Aufgabe. Ist es nicht egal, an welchen Tagen die Menschen euch brauchen? Ist es nicht egal, dass die einen schwarz, die anderen knallrot sind?
Schaut euch doch an... hat nicht jeder von euch einen Partner, mit dem er zusammen die Füße bekleidet?“
Die nachdenklich gewordenen Streithähne nickten und stimmten ihm wehmütig zu: „Ja, du hast recht. Wir sind immer zu zweit!“
„Ich habe gewartet auf meinen Partnersocken, habe ihn so lange vermisst. Jedes Mal, wenn ein Lichtstrahl zu uns dringt und Hände nach einem sauberen Paar Socken greifen, flackert die Sehnsucht für einen Moment lang auf. Doch so lange liege ich hier, bin schon in die hinterste Ecke gerutscht, weil sie mich nicht mehr wählen.
Wie sollten die Menschen auch? Haben sie nicht alle zwei Füße? Ich bin allein und nutzlos geworden. Ich bin eurer Streits leid geworden. Seit endlich froh und dankbar, dass ihr nützlich seid.“
Tief betroffen schwiegen die Socken für den Rest des Tages.
Der einsame Socke war schließlich unter den Blicken der Anderen wieder erschöpft eingeschlafen und träumte von früheren Zeiten.
Bald darauf wurde die Schublade wieder geöffnet.
Während sich die anderen Sockenpaare wie gewöhnlich hoffnungsvoll streckten, um von der suchenden Hand ergriffen zu werden, träumte der einsame Socke noch immer .
Doch keines der Paare wurde gewählt.
Stattdessen wühlte die Hand scheinbar suchend durch den gesamten Holzkasten.
Ganz verschlafen wurde stattdessen der einsame Socke genommen, und mit einem menschlichen „Da bist du ja!“ entrissen.
Als die Schublade wieder zu geschoben wurde, ergriff Angst und Schrecken die Socken.
„Er wird nie wieder zurück kommen!“
„Ob er jetzt in der Todestonne enden muss ?“
„Ach, hätten wir ihn doch vor der Hand versteckt...“
„Armer Kerl, es muss schlimm sein, so einsam und nutzlos zu enden.“
Die ganze Nacht über unterhielten sie sich leise tuschelnd über das Schicksal des einsamen Socken.
Doch auch als am Morgen die Sonne auf ging und ein Paar von ihnen wie üblich von der Menschenhand ergriffen wurde, kam der einsame Socke nicht zurück.
Seit er allein war, war er noch nie so lange verschwunden.
Sie waren sich alle einig: Das konnte nur eines bedeuten- die Todestonne hatte ihn für immer verschwinden lassen. Ihr einzelner Freund würde sicher nicht zurück kommen.
Die Sockenpaare drückten sich an diesem Tag besonders fest aneinander. Noch nie war ihnen so bewusst, wie wichtig ihr Partner für sie war.
Sie drückten und kuschelten sich dicht zusammen, versprachen sich nie aus den Augen zu verlieren...
Zwei Tage vergingen.
Sie hatten es nicht vergessen- das Schicksal ihres einsamen Freundes.
Herzlicher verabschiedeten und begrüßten sie sich, wann immer die Hand ein Paar von ihnen holte oder brachte.
Es schien, als gäbe es eine neue, liebevolle Verbindung der Socken zueinander, wie nie vorher.
Nicht ein einziges Mal hatten sie seit jenem Tag gestritten. Die Sonntagssocken lagen friedlich neben den Wollstrümpfen und die Fußballsocken erzählten den anderen geduldig vom vergangenen Turnier...
Beinahe konnte man meinen, die Trauer habe alle Streitigkeiten und Angebereien in Rücksicht und Liebe verwandelt.
Friede in der Sockenschublade- unglaublich und noch nie zuvor da gewesen, aber tatsächlich wahr.
Am Abend des 3. Tages aber geschah, womit keiner von ihnen noch gerechnet hatte.
„Ich bin wieder da!“ rief es freudig, als sich die Schublade öffnet.
Sie blicken hinauf zur Menschenhand, doch konnten nichts erkennen.
„Die Stimme kenne ich doch?!“
„Das ist doch nicht möglich....“
„Das kann nicht sein...“
Aufgeregt tuschelten die Socken untereinander.
Im gleichen Moment rutschte aus der kräftigen Hand ein froher, frischgewaschener, einsamer Socke und strahlte sie alle an.
„Ich kann es nicht fassen. Ich werde gebraucht, glaubt mir! Ich weiß ,ich bin nicht nutzlos!“
Fassungslos lagen sie eng gedrängt beieinander und lauschten in jener Nacht, was ihr einzelner Socke erlebt hatte.
Immer und immer wieder erzählt der, wie er voller Angst vor der Todestonne von der Menschenhand getragen, plötzlich doch im Schein einer Kerze mit Süßigkeiten gefüllt wurde, an ein Kinderbett gebunden und dort eine ganze Nacht warten musste...
„Doch diese strahlenden Kinderaugen, als sie mich am Morgen entdeckten... ich sage euch. .. es war einmalig.“
„Und nun, wirst du wieder ein ganzes Jahr warten müssen?“
„Ja, aber das macht mir nichts aus. Ich hörte beim Trocknen am Kamin, wie sie sich unterhielten. Was ist schon ein Jahr, wenn man weiß, dass man dann sehnsüchtig erwartet wird?“
Der einsame Socke lächelte zufrieden und schlief glücklich wie schon so lange nicht mehr ein.




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LG Honigmond