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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : ein Geschenk mit Bedeutung



Honigmond
17.03.2010, 10:47
Sie saß im strahlenden Sonnenschein der Sommerhitze.
In ihren Händen wirbelte das feine Garn im gleichen eifrigen Rhythmus, wie ihre Finger auf dem dünnen Schal umhertänzelten.
Auf ihrem Gesicht war bei jedem Stich ein leichtes Lächeln zu sehen. Hin und wieder blickte sie auf und flog mit ihren müden Augen einen Augenblick mit den Vögeln in die vorüberziehenden Schäfchenwolken.
Aber bald neigte sie wieder ihren Kopf entschlossen zum Schal. Im Hochsommer saß sie wortlos da und stickte etwas , doch verrückt oder sinnlos war es dennoch nicht.
Stich um Stich formten sich Buchstaben in den Stoff, deren Bedeutung nur sie wusste...

In jener Nacht, als sie geplagt von ihren Gedanken und Sorgen des Alltags unruhig schlief, sich wünschend wie ein Vogel frei zu fliegen, schenkte ER ihr einen Traum:

Eine Menschentraube hatte sich auf einem Marktplatz um ein verängstigtes, verwirrtes Mädchen versammelt.
Dessen Augen waren müde und brennend von den längst nicht mehr gezeigten Tränen.
Alle im Dorf wussten, dass ein großer, gewaltiger, mächtiger König über all die umliegenden Städte, Dörfer und Ländereien regierte.
Die Menschen sprachen jeden Tag darüber und so auch an jenem Morgen.
Wild durcheinander fielen sie sich voller Tatendrang und Wissenslust ins Wort, ließen einander kaum ausreden.
„Er ist mächtig...!“
„Er ist streng...!“
„Er ist ohne Fehler...!“...
So versuchten sie einander jenen Herrscher zu beschreiben.
Alles, was gesagt wurde, wussten die Bewohner aus den alten Schriften der Vorfahren und wie so oft, gerieten sie bald nach dem die Gespräche begonnen hatten, in heftigen Streit darüber, denn jeder konnte auf seine Weise „beweisen“, wie der König schon immer war und auch bis an die letzten Tag sein würde...
„Es liegt an uns, ihm treu zu dienen!“ riefen einige siegessicher und machten sich an die alltägliche Arbeit.
„Wir können es nie schaffen, alle Forderungen zu erfüllen...“ resignierten andere leise flüsternd ohne Hoffnung.
„Das ist alles ganz einfach zu schaffen, wenn wir dem König auch in der schweren Zeit des Lebens nur blind vertrauen!“ verbreiteten wieder andere mit starker Stimme, um die Schwermut aus der verfahrenen Diskussion zu nehmen.
Mitten in dieser Menschenmenge stand das kleine Mädchen.
Ihre braunen Kulleraugen blickten suchend umher, die Ohren versuchten aus dem Durcheinander des Gesagtem, etwas über den fernen Herrscher heraus zu hören .
An ihren Füßen stand ein in glitzerndes Papier eingepacktes Geschenk, das ihren Namen trug.
Doch das Mädchen wagte lange nicht, die Schleife zu öffnen und den Inhalt zu betrachten, denn ein Schauer durchfuhr sie, war jenes Päckchen doch vom König an sie.
Furcht wurde zu Angst, was der König ihr, der unbedeutenden kleinen Dorfbewohnerin wohl
zu gesandt hätte in seiner Größe, Stärke und unerreichbaren Reinheit...
Ihre Blicken gingen zu ihren schlammigen Schühchen, betrachteten bald darauf das zerrissene Kleid an ihrem zitternden Körper, der durch allerlei Unfälle reichlich Narben und Schrammen trug.
Ein König wäre sicher in schönste Kleidung gehüllt und hätte keine aufgerissenen Knie.
Das Geld für neue Kleider fehlte dem Mädchen ebenso wie die Fähigkeit eine heile, narbenfreie Haut zu bekommen.
Als ihre Finger doch in einem mutigen Moment das Geschenk öffneten, wurde es still in der Menschenmenge.
Alle Gespräche verstummten, während sie einen Schal aus der Schachtel zog.
Sie hielt ihn nach oben, weil alle sehen wollten, was jenes Geschenk des Herrschers sei. Plötzlich ging ein Raunen durch die Menge.
Der König schenkte dem Kind einen Schal- was hatte das wohl zu bedeuten?
Doch es brauchte nicht lange, bis die ersten Klugen ihre Stimmen erhoben.
„Der Schal hatte sicher die Bedeutung, dass er um die zarten Hand-und Fußgelenke jenes Kindes von früher Jugend an gebunden gehöre, damit er bei allem Gehen und Handeln an die Regeln des Königs erinnere...“
Zustimmend nickten viele der Bewohner voller Bewunderung der weisen Erkenntnis in der Bedeutung des Schals.
Man begann sich einig zu werden, dass die Regeln des Königs das Wichtigste seien, um solch erbärmlichen Schmutz und Wunden, wie es das kleine Mädchen an sich trug, zu vermeiden.
Plötzlich kamen andere Stimmen auf.
„Nein, der Schal ist keine Fessel an die Regeln, sondern diene einzig der demütigen Bedeckung des unordentlich zusammengebundenen, strohigen Haares als Symbol für die Ehrfurcht, die jenes Mädchen lernen müsse, um einst mit dem Herrscher in der richtigen Herzenshaltung zu reden.“
Und wieder bejahten einige kräftig nickend, dass es hier um Demut und Ehrfurcht ginge, an die der Schal erinnern sollte.
Lachend brach eine kleinere Menschengruppe in die aufgeregten Gespräche, mit der Behauptung, dass all das Unsinn sei.
„Habt ihr denn nicht begriffen, was das Wichtigste für unseren König ist?
Es sind nicht die Fesseln der Regeln und ebenso nicht die demütige Kopfbedeckung beim Nachdenken und reden über ihn. Der Schal“, so erklang es siegessicher aus jener kleineren Menschengruppe, „ der Schal ist zum Verbinden der Augen da. Denn nur, wer dem König blind vertraute, konnte ihm nahen und würde von Grund auf verändert. Demut und Halten der Regeln würden aus allein jenem blinden Vertrauen von selbst entstehen, wenn man von nun an das erbarmungswürdige Mädchen den richtigen Weg führen würde.“

Verwirrt stand das Mädchen mit dem Schal in der Hand unter all den Menschen.
Was nun war es, das dem Schal von all dem die richtige Bedeutung geben konnte? Oder gab es gar viele Möglichkeiten zur Erklärung?
Das Mädchen hätte es zu gern richtig gemacht, doch wusste nicht, wem von all den Bewohnern sie Glauben schenken sollte.
Was nun sollte sie tun? Würde sie jenen glauben, dann könnte sie den Schal um die Handgelenke binden, doch nicht gleichzeitig um die Augen... und würde sie ihn auf die Haare binden, könne der Schal weder die Augen verbinden noch die stolpernden Füßchen sicherer treten lassen...
Wieder schossen dem Mädchen Tränen der Verzweiflung aus den Augen.
Wenn sie doch nur verstehen könnte, was die wahre Bedeutung des Schals war...
Was hatte es wohl mit dem Schal auf sich?

Wer mag, der grübele...&schnurr

(Forsetzung folgt )

Obertonmusik
19.03.2010, 00:06
Tausendfüßer und Spinne waren Freunde und gingen oft zusammen aus. Als sie eines Tages im Gespräch beieinander saßen, sprach der Tausendfüßer zur Spinne: "Mein lieber Freund, Lass dir von mir sagen, dass die Menschen ganz bestimmt taub sind." Höflich erkundigte sich die Spinne: "Was kannst du mir von der Taubheit der Menschen berichten?" Da begann der Tausendfüßer zu sprechen: "Nun, folgendes, hör zu. Dem Menschen muss man erst auf dem Körper herumtrampeln, bis er sagt: 'Da ist ein Tausendfüßer. ' Dabei höre ich doch bei jedem Schritt meine Füße stampfen. Laut wie ein Dampfer, der in Fahrt ist, stampfen sie. Es macht: 'Uch! Uch! Uch!' Aber die Menschen bemerken den Lärm einfach nicht." - "Mein Freund, du sprichst die Wahrheit!" antwortete die Spinne, als sie ihn angehört hatte. Darauf erzählte sie dem Tausendfüßer: "Weißt du, Freund, ich glaube, die Menschen sind nicht nur taub, sondern außerdem noch blind. Habe ich mir nämlich ein Haus gebaut, die Wände, die Veranda, alles ist fertig, dann kommen die Menschen, stolpern über die Schwelle, fallen durch die Tür. Und doch sagen sie nicht: 'Ach, ach, das Netz der Spinne umgibt mich!' Mit den Händen zerreißt der Mensch, was ich gebaut habe, und zerstört es völlig. Ich selbst laufe dann immer schnell fort und lasse mich ins Gras fallen. Danach suche ich mir einen anderen Platz für ein neues Netz. Aber ich sage dir, die Menschen sind blind, sie sehen überhaupt nichts." Und der Tausendfüßer pflichtete ihr bei und nickte.

Quelle: Hekaya