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Gabriel2
23.03.2007, 22:22
WAJIKRA – Er rief
3. Mose 1,1 - 5,26; Jesaja 43,21 – 44,23

MEIN OPFER

Das dritte Buch Mose, das in lateinisch Leviticus heißt, weil es ursprünglich
„Thorat-Cohanim“, die Thora der Priester genannt wurde, wird heute nach dem
hebräischen Anfangswort Wajikra benannt. Es beinhaltet die vielfältigen Opfer und
die Vorschriften, wie man sie vor Gott darbringen soll. Im Originaltext fällt uns gleich
zu Anfang im zweiten Vers auf, dass das von Hermann Menge mit
„Wenn jemand von euch“ und von Martin Luther mit „Wer unter euch“ übersetzte
Wort im Hebräischen ADAM heißt.

Hier liegt der Schlüssel zum besseren Opferverständnis, denn das hebräische
Wort für Opferdarbringung heißt „korban, le-hakriv“, was aus der hebräischen
Sprachwurzel sich nähern bzw. näher kommen stamm. In diesem Sinn bedeutet
der Vers: „Der Mensch (Adam) nähert sich Gott.“ Ein wahres, vor Gott gültiges
Opfer ist ein Sicht-Selbst-Gott-Darbringen und damit Gott näher kommen.
Wer Opfer nur aus seinem Überfluss abzweigt, bring nicht sich selbst dar.
Wer seinen Kindern zum Geburtstag nur einen Scheck gibt, für sie aber keine
Zeit hat, kommt ihnen ebenso wenig näher wie wir Gott mit einer von der Steuer
absetzbaren Spende. Nicht umsonst sagt Jesus: „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser
zusteht (Steuer), und Gott, was Gott zusteht (Opfer)“ (Matthäus 22,21).

Nur das zählt, was wir Gott darbringen: in früheren Zeiten zum Bau und Unterhalt
Seines Tempels, heute die Zeit, die wir für das Studium Seines Wortes investieren,
bis hin zu den Gaben, die wir Kranken und Armen zukommen lassen – all das macht
in Wahrheit unser Leben aus, hat Ewigkeitswert. Nur das, war wir von Herzen als
Opfer abgeben, ist und bleibt unser! Erst als Abraham willig war, seinen einzigen Sohn,
den er lieb hatte, zu opfern, sicherte er sich seine eigene Unsterblichkeit.
Der französische Philosoph Descartes (1596-1650) meinte: „Ich denke, also bin ich!“
Hier aber gilt: „ Ich opfere, also bin ich!“, denn wer sich selbst opfert, lebt und bleibt.
Doch das größte Opfer ist nicht der Märtyrertod, sondern ein Gott hingegebenes Leben.
Das schreibt auch Paulus in seinem Brief an die Römer (12,1-2):

„So ermahne ich euch, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes: Bringt eure
Leiber als ein lebendiges, heiliges und Gott wohlgefälliges Opfer dar: das sei euer
vernünftiger Gottesdienst! Gestaltet eure Lebensführung nicht nach der Weise dieser
Weltzeit, sondern wandelt euch um durch die Erneuerung eures Sinnes, damit
ihr ein sicheres Urteil darüber gewinnt, welches der Wille Gottes sei, nämlich
das Gute und Gott Wohlgefällige und Vollkommene.“

Das dritte Buch Mose beschreibt die für den Gottesdienst der Stiftshütte notwendigen
Opfer, deren Darbringung später in den von König Salomo erbauten Tempel
und dessen Gottesdienst überging. Heute existieren weder Stiftshütte noch Tempel,
doch der Gottesdienst besteht weiter und zwar in abstrakter Form. Anstelle der
Darbringung von Brand- und Speiseopfern, von Dank – und Friedensopfern, von Sünd-
und Schuldopfern verrichten religiöse Juden heute in derselben Zeit und Zeitspanne
ihre täglichen Gebete. Nichtjuden scheint es oft unverständlich, dass Juden
verordnete Gebete beten und nicht wie die Christen vielfach augenblicksgeborene
Gebete. Die feststehenden Gebete sind Ersatz für den Opferdienst im Tempel:

da ist das Morgengebet Schacharit,
das Mittagsgebet Mincha und
das Abendgebet Maariw,

die zu derselben Zeit gebetet werden, zu der früher im Tempel die Opfer dargebracht
wurden. Neben diese an die Opfer erinnernden Pflichtgebete gibt es auch die freien
Gebete, die Gott als König verherrlichen, genauer gesagt, Ihn segnen, eine
Formulierung, die im deutschen Sprachgebrauch nicht üblich, in der Bibel und in
den hebräischen Gebeten dagegen ganz normal ist: Gebete beginnen zumeist mit

baruch ata adonai elohenu melech haolam
(Gesegnet bist du, unser Gott, König der Welt).

Weitere Gebete stellen die freien, rein persönlichen Gebete dar, die unserer
persönlichen Not und Beziehung zu Gott entstammen.

Bei der Aufzählung der Sündopfer werden die gesalbten Priester als die ersten
genannt, die, wenn sie sich versündigt haben, Opfer darbringen müssen.
Danach weist Gott auf die ganze Gemeinde, wenn sie als Ganzheit gefehlt hat.
Erst dann kommt der Stammesfürst an die Reihe und zum Schluss der Einzelne
aus dem Volk. Hier sehen wir: auch gesalbte Priester können sich versündigen!
Von ihnen aber verlangt Gott größere Sündopfer als vom einfachen Mann aus dem
Volk, weil Gott von einem gesalbten Priester mehr Disziplin und Reinheit erwartet.
Die nächste Gruppe, die bei einer Versündigung Opfer darzubringen hat, ist die
ganze Gemeinde, die von Gott kollektiv betrachtet und herangezogen wird.
Es gibt vor Gott also eine Kollektivschuld! Dies ist besonders aktuell im Hinblick auf
das Vergehen der Völker gegen die Juden. Erst als Drittes kommt der Stammesfürst
und ganz zum Schluss der einzelne Mann aus dem Volk. So beginnt das Gericht
immer am Haus Gottes. Gewiss: die wahre Reinigung von unseren Sünden hat das
Lamm Gottes vollbracht, doch durch eine wahre Opferbereitschaft unsererseits
kommen wir Gott näher.

Wie heikel das Thema der Opferdarbringung ist, zeigt uns die Tragödie von Kain
und Abel (1. Mose 4), die noch im Morgengrauen der Schöpfung geschah. Kain opferte
vom Überfluss seiner Ernte; Abel dagegen opferte eine ihm lieb gewordene Erstgeburt
seiner Herde. Gott, der Herr, schaut in das Herz des Opfernden und prüft die
Motivation, warum und weshalb er dies oder das opfert. Als Kain sich ertappt sah,
dass Gott seine bösen bzw. neidischen Gedanken gegenüber seinem Bruder Abel
erkannt hatte, erschlug Kain seinen Bruder Abel. Diese Tat entlarvte seine innere
Haltung gegenüber der äußerlichen Opferhandlung.

Leider gibt es noch immer Bruderkämpfe. Man ist Fremden gegenüber oft
barmherziger als seinen Brüdern gegenüber, besonders, wenn es um sichtbare
Zeichen geht, dafür dass Gott einen anderen Glaubensbruder mehr segnet als mich.
Zwar bringt man den gesegneteren Bruder von der anderen Gemeinde nicht
mehr um – doch Rufmord ist auch Mord.


Ludwig Schneider