PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Die Rowdies



Larson
23.06.2008, 22:50
Was ich berichten will, geschah irgendwann während eines unserer Urlaube.Wir waren eines heißen Sommertags mit unseren Töchtern in die unserem Campingplatz nahegelegene Stadt bummeln gegangen. Weil es so heiß war, hatte meine Frau irgendwann die Idee, daß wir ein Eis essen könnten und so setzten wir uns vor einer Eisdiele an einen der dort stehenden Tische und gaben der herbeieilenden Bedienung unsere Bestellung auf.

Wir genossen es, so in der Fußgängerzone zu sitzen, den Vorübergehenden zuzusehen und dabei genießerisch unser Eis zu löffeln.Wir mochten vielleicht eine halbe Stunde gesessen haben, das Eis war inzwischen gelöffelt und meine Frau und ich hatten uns noch einen Cappuccino und den Kindern eine Limonade genehmigt, als aus einiger Entfernung lautes Grölen und Fluchen hörbar wurde. Eine Gruppe Jugendlicher kam die Straße heraufgetobt.

Einer dieser Jugendlichen, ein grober, ungeschlachter Bursche von vielleicht 15 oder 16 Jahren war darauf aus, vorübergehende Passanten anzupöbeln. Ohne Rücksicht auf Alter oder Geschlecht wurde jeder verspottet und von diesem jugendlichen Grobian mit wüsten und zotigen Beschimpfungen überzogen. Jede seiner Verbalattacken wurde von seinen Spießgesellen mit grobem Gelächter kommentiert. Als die Gruppe von sechs oder sieben Jugendlichen noch etwa einhundert Meter entfernt ware, überlegte ich bereits, wie wir ihnen jetzt noch begegnen könnten. Ich bin solchen Grobheiten gegenüber meistens recht hilflos. Einfach davonlaufen lag mir dennoch nicht. Zudem hatten wir unseren Verzehr noch nicht bezahlt und wären der Zechprellerei beschuldigt worden. Meine Familie und mich beschimpfen zu lassen, lag mir andererseits auch nicht und ich legte mir bereits allerhand kaum minder grobe Erwiderungen für den Fall zurecht, daß auch wir von diesen Burschen „unser Fett" abbekommen würden. Je näher die Horde kam, desto unbehaglicher wurde meiner Frau und mir.

Schließlich entdeckten die jungen Burschen dieses Eiscafé - und steuerten schnurstracks auf uns zu.

Am Tisch neben uns saß ein freundliches älteres Ehepaar, das sich bei unserer Ankunft kurz zu uns gewandt und uns wegen unserer Töchter angesprochen hatte. Beide mochten bereits so um die siebzig Jahre alt sein und machten einen zwar etwas gebrechlichen, doch sehr gütigen und freundlichen Eindruck. Da ihr Tisch am weitesten in die Fußgängerzone hinein stand, befürchtete ich bereits, die Burschen könnten ihre üble Laune an den beiden alten Leutchen auslassen und nun wünschte ich mir doppelt, mich am anderen Ende der Welt zu befinden; auf dem Mond oder wenigstens in Australien. Moralisch fühlte ich mich verpflichtet, den beiden alten Menschen zur Seite zu stehen um sie vor etwaigen Übergriffen dieser Bande zu schützen. Doch hätte das die Aufmerksamkeit der Zotenschwinger auf mich bzw. uns gelenkt und das wünschte ich mir am allerwenigsten. Doch dann lief alles ganz und gar anders, als meine Frau und ich es hatten kommen sehen.

Mir fiel auf, daß die zierliche und sehr gepflegt wirkende Frau dieser Horde gar nicht so unfreundlich entgegensah, wie ich das bei den anderen Gästen des Lokals beobachten konnte. In ihren Augen glaubte ich so etwas wie - ich kann es nicht anders beschreiben - abwartende Liebe zu entdecken. Offen und ohne Furcht oder gar Abscheu sah sie dem Anfüher dieser Bande in die Augen.

Wie befürchtet blieben diese jungen Burschen vor dem Tisch des Ehepaars stehen und spotteten und beschimpften die beiden. Ich überlegte bereits, wie ich eingreifen könnte. Den Anführer mochte der direkte Blick der alten Dame zu verbalen Hochleistung anstacheln. Der grobschlächtige 16jährige, der mir schon von Beginn an durch sein besonders wüstes und aggressives Verhalten aufgefallen war, stieß einige Zoten und Grobheiten aus, beschimpfte die „Gruftis", als „sabbernde Alte", die doch schon „längst in die Kiste geworfen" gehörten und dergleichen mehr. Gleichzeitig stieß er mit dem Fuß absichtlich an den Tisch, so daß der Kaffe in der Tasse der alten Dame überschwappend sich auf ihr Kleid und über ihre feine Spitzenbluse ergoß.

Doch anstatt verärgert aufzufahren blieb sie auch jetzt noch ruhig lächelnd sitzen. Dann geschah etwas, das mir beinahe den Atem raubte und das ich wohl in meinem ganzen Leben nicht mehr vergessen werde: Die alte Dame schob ihren Stuhl noch etwas zurück und erhob sich. Wieder Gegröle: Ob er jetzt Angst bekommen müsse, das sehe ja aus, als müsse er fliehen. „Aber nein", versetzte die alte Frau mit erstaunlich deutlicher und klarer, dennoch freundlicher Stimme, und ein unfaßbar herzliches und freundliches Lächeln überzog ihr Gesicht. „Komm' her mein Junge, komm' zu mir."

Und die alte zierliche Dame machte zwei Schritte auf den Grobian zu und nahm ihn fest in die Arme. Sie reichte ihm kaum bis ans Kinn und dennoch umarmte sie ihn fest, strich ihm zärtlich über den fast kahlen Kopf, dann zog sie sein Gesicht zu sich herunter und legte ihre Wange an die seine. Augenblicklich verstummte alles Johlen und Gelächter, es war mucksmäuschenstill um uns herum und vollkommen überwältigt ließ der Junge die mütterlichen Zärtlichkeiten an sich geschehen. Doch nein, es waren keine mütterlichen Zärtlichkeiten, es war viel, viel mehr. „Mein lieber Junge", sagte die alte Dame, „jetzt werd' erst einmal ganz ruhig. Wie lange lebst du schon ohne Liebe? Wann hat dich das letzte Mal jemand in den Arm genommen? Woher kommt all dein Zorn und deine Verzweiflung? Komm' in meinen Arm und sag' mir, was dir wehtut."

Auf einmal wirkte der großgewachsene Bursche wie ein kleiner Junge. Mit hängenden Schultern stand er da vor dieser Frau. Jetzt konnte ich erkennen, daß die alte Frau Tränen in den Augen hatte und auch den Knaben schützte seine gespielte pubertäre Männlichkeit nicht mehr, er begann zu weinen, ja, er schluchzte plötzlich laut auf, ein Weinkrampf schüttelte ihn, daß seine Schultern, ja sein ganzer Körper zuckte und bebte und als die Frau ihn schließlich neben sich auf den Stuhl gesetzt hatte, legte er seinen Kopf an ihre Brust während sie ihn nur noch streichelte und liebkoste. Seine Kumpane standen eine Weile unschlüssig herum, bis der alte Mann sie aufforderte, doch Platz zu nehmen. Er bestellte Eis für alle!

Mit einem Mal wurde es klar und hell vor meinen Augen und jetzt saß da nicht mehr eine alte Frau neben diesem Jugendlichen auf dem Stuhl und tröstete ihn. Ich sah Jesus, meinen Bruder, der dort auf dem Stuhl saß, mit all seiner unendlichen Liebe und Geduld streckte er die Hand nach dem Herzen seines Kindes aus. Nach seinem Bruder, den er liebte.

Und ich? Ich schämte mich zutiefst. Aus Angst und Abscheu hatte ich mir bittere und böse Worte überlegt, sie diesem Kind entgegenzuschleudern um meine Familie und mich „zu schützen". Und er war doch auch mein Bruder, der auch meine Liebe und Freundlichkeit verdient hatte so wie Jesus mir seine angedeihen ließ. Ein Kloß stieg mir in den Hals und wollte nicht weichen. Ich zwinkerte mit den Augen und sah wieder hinüber an den Nachbartisch. Noch immer saß dort Jesus und tröstete den Jungen. Im Stillen, ganz in meinem Innern, bat ich Jesus um Verzeihung für meine Angst und meinen Abscheu. Da drehte er seinen Kopf zu mir und sah mich aus wunderbar gütigen Augen an. Sein warmer Blick sagte mir: Ich verzeihe Dir, ich werde dich auch weiterhin lieben.


Das Copyright liegt bei mir, eine Nutzung über den rein privaten Gebrauch hinaus ist nicht erlaubt.