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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Die Rose



Victor
10.08.2008, 14:21
Rainer Maria Rilke ging in der Zeit seines Pariser Aufenthaltes regelmäßig über einen Platz, an dem eine Bettlerin saß, die um Geld anhielt.

Ohne je aufzublicken, ohne ein Zeichen des Bittens oder Dankens zu äußern, saß die Frau immer am gleichen Ort.

Rilke gab nie etwas, seine französische Begleiterin aber warf ihr häufig ein Geldstück hin.

Eines Tages fragte die Französin verwundert, warum er ihr nichts gebe.
Rilke antwortete: "Wir müssen ihrem Herzen schenken, nicht ihrer Hand."

Wenige Tage später brachte Rilke eine eben aufgeblühte weiße Rose mit, legte sie in die offene, abgezehrte Hand der Bettlerin und wollte weitergehen. Eine weiße Rose. Da geschah das Unerwartete: Die Bettlerin blickte auf, sah den Geber, erhob sich mühsam von der Erde, tastete nach der Hand des fremden Mannes, küßte sie und ging mit der Rose davon.

Eine Woche lang war die Alte verschwunden, der Platz, an dem sie vorher gebettelt hatte, blieb leer.

Nach acht Tagen saß sie plötzlich wieder an der gewohnten Stelle. Sie war stumm wie damals, wiederum nur wieder ihre Bedürftigkeit zeigend durch die ausgestreckte Hand.

"Aber wovon hat sie denn in all den Tagen gelebt?" fragte die Französin.
Rilke antwortete: "Von der Rose..."

Verfasser unbekannt

Mit freundlicher Genehmigung von Uwe Lüllemann

http://www.luellemann.de/index.htm

anonym003
13.08.2008, 17:50
Hallo Victor

Eine wirklich eindrückliche Geschichte. Da kommt mir einfach so der Gedanke: Wovon leben wir in dieser Welt? Was macht das kleine bisschen Glück aus in unserm Leben hier? Sicher leben wir nicht nur von Geld und Gut und dies in einer äusseren leblosen Hülle? Ja, wäre das wirklich alles?

Oder spüren wir noch das Innere, den Hauch des Ewigen? Der auch uns wie diese Bettlerin durch das Leben trägt? In dieser Geschichte leider nur eine gute Woche lang. Sind wir auch bereit den andern Menschen etwas Liebe zu schenken oder verpassen wir den Mitmenschen lieber Tritte?

Ja, möchten wir den andern Menschen doch mehr von diesen weissen Rosen verschenken, die etwas im Innersten berühren und manchen von ihnen das Leben leichter machen könnte!

Liebe Grüsse &schleck