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Naechstenlieber
13.08.2006, 19:43
Predigt am 12. Juni 2005, Lukas 15,1-7 Vom verlorenen Schaf
Es nahten sich ihm aber allerlei Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen. Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach: Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er "eins" von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er's findet? Und wenn er's gefunden hat, so legt er sich's auf die Schultern voller Freude. Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über "einen" Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.

Liebe Gemeinde,

vor Monaten gab es einen großen Schiedsrichterskandal im Fußball. Besonders ein Schiedsrichter stand als der ganz schlimme Bösewicht im Mittelpunkt der Kritik, weil er Spiele gegen Geld ver–pfiffen, sprich manipuliert hatte. Sein Name ging wochenlang durch die Medien, mit einem Sturm an Entrüstung.

Ich habe mich zwischendurch gefragt: Was macht so ein junger Mensch noch aus seinem Leben, der als buchstäblich schwarzes Schaf öffentlich gebrandmarkt ist? Denn, was er gemacht ist, ist kriminell und hat dem Fußball als Sport- und Kulturgut geschadet. Hat er überhaupt noch eine Chance verdient? Oder kann er nur noch auswandern?

Nun fand ich dazu letzten Montag eine kleine Notiz in der Westdeutschen Zeitung. Ich habe sie hier mitgebracht. Ich sage gleich vorweg: Mich hat diese Zeitungsnotiz sehr gerührt. Und als ich dann den Predigttext vom verlorenen Schaf für heute las, da kam mir die Zeitungsnotiz wieder in den Sinn und ich dachte: sie könnte genauso gut auch im Evangelium stehen. Mal sehen, ob Sie (Ihr), das auch so sehen:
Überschrift "Zwanziger will H. helfen": Berlin. Theo Zwanziger möchte Skandalschiedsrichter Robert H. Hilfe anbieten, damit dieser im Leben wieder Fuß fassen kann. "Als Schiedsrichter ist er nie mehr zu gebrauchen, aber wir haben nicht das Recht, ihn als Mensch für alle Zeiten zu verdammen," sagte der Geschäftsführende DFB-Präsident, der heute 60 Jahre alt wird."

Erinnern wir uns an das Gleichnis vom verlorenen Schaf, liebe Gemeinde. Ich habe es, wie viele von uns, hundert Mal gelesen und doch lebt es von einer nie langweilig werdenden Spannung und Freude und Wärme.
Nehmen wir zunächst noch einmal die Einleitung zum Gleichnis wahr.
"Es nahten sich allerlei Zöllner und Sünder, um Jesus zu hören."

Stellen wir uns vor: Zuhälter und Prostituierte, straffällig gewordene Betrüger und Schläger, weiße -Kragen –Täter, die sich aufs illegale Geldwaschen verstehen und zugleich angesehene Bürger sind, Drogensüchtige und ein großer Rauschgiftboss, sie alle kommen in unsere Gemeinde, wollen aufgenommen werden, mitmachen, sogar Presbyter werden.
Unmöglich, werden wir sagen, gab es nie und passiert auch nie.

Bei Jesus ist es passiert, liebe Gemeinde. Das lese ich heute nicht nur, das glaube ich hundertprozentig. Der hatte was, was wir aus was für Gründen selten so haben: Hundertprozentiges Vertrauen in Gottes Lebendigkeit, Wirken und Verändern in unserer Welt.

In Jesus brannte Gottes Geist so heiß, dass von der Hitze andere ihr Leben änderten oder gesund gemacht wurden. Später prägte der große Kirchenvater Augustinus den ganz wichtigen Gedanken: "In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst." Das gefiel aber einigen Leuten nicht, dass auch die kleinen und großen Lumpen und Gescheiterten und sich schuldig Fühlenden Jesus sehen, hören, erleben wollten. "Sie murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen." Diesen Murrenden und Knurrenden, die zufällig oder nicht zufällig auch noch als die obersten Frommen im Volk bekannt waren, denen erzählt Jesus dieses Gleichnis von dem Hirten, der für hundert Schafe verantwortlich war. Da verlief sich eines. Die 99 anderen lässt der Hirte unter Obhut seiner Hirtenhunde zurück und sucht das eine. Hätten wir als gute Hirten auch getan, liebe Gemeinde.

Mein persönliches Beispiel mag jetzt vielleicht etwas lächerlich sein, aber ich bringe es trotzdem. Viele wissen, dass ich Hühner halte, etwa 20. Wenn ich spätabends die Stalltür schließe, dann gucke ich immer, ob auch alle drin sind. Manchmal fehlt ein Huhn. Dann suche ich so lange, bis ich es gefunden habe. Manchmal stellt sich dieses Huhn auch noch dumm an, ein sprichwörtlich dummes Huhn, es will einfach nicht in den sicheren Stall und ich laufe mit dem Huhn um die Wette, bis es sich in den sicheren Stall flüchtet. Ich hätte keine Nachtruhe, besonders bei Gewitter oder im Winter, wenn ich wüsste, dass auch nur ein Huhn noch draußen ist.

Hier im Gleichnis freut sich der Hirte unbändig, als er das Schaf gefunden hat. Freunden und Nachbarn zuhause sollen an seiner Freude teilhaben: "Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war."

Ja, und dann lese ich diese Zeitungsnotiz, liebe Gemeinde. Hand aufs Herz, hätten Sie gedacht, das so etwas möglich ist? Das schwarze Schiedsrichterschaf Robert H. hatte mit seinen falschen Spielen auch den Deutschen Fußballbund und seine Leitung in Bedrängnis gebracht. Und ausgerechnet diesem Menschen, durch den DFB-Präsident Zwanziger viel Ärger hatte , dem will er eine Chance geben. Die Begründung, liebe Gemeinde, rührt mich so: Theo Zwanziger beschönigt die kriminelle Tat keineswegs. Unrecht bleibt Unrecht.
Doch er führt weiter aus: "Aber wir haben nicht das Recht, ihn als Mensch für alle Zeiten zu verdammen." Liebe Gemeinde, ich weiß nicht, ob Theo Zwanziger Christ ist, ob er bei seiner Begründung bewusst als Christ gehandelt hat oder aus seinem Gefühl für Menschlichkeit. Aber eines ist mir persönlich gewiss: Jesus hätte auch nicht anders reagiert!

Da gibt es doch, liebe Gemeinde, im Johannesevangelium, Kapitel 8 diese Geschichte von "Jesus und der Ehebrecherin". Auf frischer Tat war sie beim Ehebruch ertappt worden. Die Frommen, die Pharisäer und Schriftgelehrten, wollen die Frau steinigen lassen, töten durch mit Steinen bewerfen. Jesus aber hockt sich hin, malt mit dem rechten Zeigefinger Figuren in den Sand und sagt schließlich nur den Satz: " Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie." Als die das hören, die den Stein schon in der Faust haben, öffnen sie ihre Fäuste, lassen die Steine fallen und gehen wortlos weg, als hätten sie sich selbst in einem Spiegel ertappt. Jesus bleibt alleine mit der Frau und fragt sie schließlich: "Wo sind die Steinewerfer, Frau? Hat dich keiner von denen verdammt?" "Niemand, Herr," antwortet die Frau. Und Jesus sagt ihr: "So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr."

Liebe Gemeinde, ich werde etwas tun, was ich sehr selten tue. Ich werde Herrn Zwanziger diese Predigt schicken und ihm erst mal schreiben, wie sehr mich seine Haltung beeindruckt und dass ich diese Haltung bei Jesus wieder finden würde. Ob er denn, der Herr Zwanziger, an das Gleichnis vom verlorenen Schaf gedacht habe oder an die Geschichte mit Jesus und der Ehebrecherin. Denn verblüffenderweise benutzt Theo Zwanziger genauso wie Jesus die zwei Wörter "nicht verdammen". Auch Jesus findet das Tun der Frau nicht in Ordnung, aber er verdammt sie nicht.

Nun möchte ich hier Theo Zwanziger nicht mit Jesus auf eine Stufe stellen, das wollte der DFB-Präsident vermutlich auch nicht. Aber sein Verhalten, seine Begründung diesem "Sünder" Robert H. gegenüber finde ich evangeliumsreif! Ein wunderbares, aktuelles Beispiel dafür, dass biblische Geschichten keine an den Haaren herbeigezogene Lebenssituationen darstellen. Ich wünsche mir, dass wir mehr solcher Beispiele lesen und davon hören.

Jesus schlussfolgert sein Gleichnis mit dem Satz: "So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, der umkehrt von seinen falschen Wegen, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen."

Was die 99 Gerechten anbelangt, liebe Gemeinde, so hat hier Jesus überhaupt keine schlechte Meinung von ihnen. Im Gegenteil, weil sie nicht zu den schwarzen Schafen gehören, braucht er sich nicht so sehr um sie zu kümmern.

Obwohl, wir merken schon, liebe Gemeinde, dass wir, die Zuhörer, die keine Fußballspiele manipuliert haben und keine Straftat begangen haben, trotzdem vor Gott nicht einfach aus dem Schneider sind. Denn welcher Mensch wollte behaupten, er sei ein Gerechter? In dem Moment, wo ein Mensch das behauptet, steht er schon mit einem Bein in der Grube der Heuchler und Hochmütigen. Der Apostel Paulus schreibt in seinem Brief an die Römer, im 3. Kapitel: "Wir alle sind Sünder und mangeln des Ruhms, den wir bei Gott haben sollten."

Ich möchte noch etwas in diesem Zusammenhang aktuell anfügen, liebe Gemeinde.

Auch vor ein paar Tagen las ich in der Zeitung, dass der neue Papst Benedikt XVI gleichgeschlechtliche Beziehungen, Schwangerschaftsunterbrechungen, Zusammenleben vor der Ehe scharf kritisiert. Dabei verurteilt er gleichgeschlechtliche Partnerschaften als "anarchische Freiheit". Anarchie, liebe Gemeinde, meint etwas äußerst Negatives, Verurteilenswertes, Gesetzloses, Zügelloses, Unmoralisches, Chaotisches. Ich finde das mehr als schade, dass der Papst so über Menschen, die anders sind als die große Menge, urteilt. Ich kenne Menschen, die homosexuell sind und ich kenne sie als Menschen, vor denen ich Achtung habe, wie vor jedem anderen. In was für Zeiten leben wir, dass wir gleichgeschlechtliche Partnerschaften, voreheliches Zusammenleben, ja, auch Schwangerschaftsunterbrechungen so pauschal verurteilen! Da wünsche ich mir bei dem Papst, in den ich eigentlich auch als Evangelischer Hoffnung setze, mehr Demut, wie ich sie Jesus hier im Gleichnis vom verlorenen Schaf und in der Geschichte von der Ehebrecherin vorfinde. Ich möchte anmerken, dass ich Gleichgeschlechtliche und andere nicht automatisch mit verlorenen Schafen und Ehebrechern gleichsetze.

Niemand hat allein die Wahrheit, auch nicht die Kirche. Da bin ich traurig über das, was Kardinal Meisner aus Köln sagt, wenn er beispielsweise meint, nur in der katholischen Kirche sei die Wahrheit. Auch hier wünsche ich mir im Sinne der Glaubwürdigkeit von uns Christen in der Öffentlichkeit, dass wir bescheidener, demütiger mit christlichen Ansprüchen umgehen.

Ich bilde mir nicht ein, als Gemeindepfarrer einen Papst und Kardinal der katholischen Kirche zu beurteilen, schon gar nicht zu verurteilen. Aber vom heutigen Gleichnis Jesu aus dürfen wir Evangelischen nicht schweigen. Damit möchte ich einer ehrlichen Ökumene dienen, in der man sich Kritisches sagt, nicht, um sich etwas um die Ohren zu hauen, sondern um beieinander zu bleiben oder näher zueinander zu kommen.

Liebe Gemeinde, ich gestehe, dass ich vor Tagen noch nicht gedacht hätte, welche Aktualität der heutige Predigttext erhalten würde. Ich meine, dass die Beispiele zeigen, dass Jesu Botschaft lebt, dass er selbst in unserem Glauben an ihn lebt. Ja, Jesus lebt umso mehr, je mehr wir uns seiner Wahrheit stellen, die nichts beschönigt, aber auch niemanden verdammt. Was für eine befreiende Botschaft schenkt uns dieser Herr!
Halleluja!

Zum Schluss der Predigt, liebe Gemeinde, möchte ich doch gerne neugierig noch wissen, ob so ein hundertstes Schaf, dem Jesus liebevoll nachgeht, auch hier im Kirchraum zu finden ist. Dazu muss ich kurz die Kanzel verlassen.

(Pfarrer verlässt die Kanzel, sucht in einigen Ecken, geht dann zur Gemeinde, zieht einen Spiegel hervor und hält dem einen und anderen wortlos den Spiegel vor und sucht dabei weiter; dann, zuletzt, geht er zurück zur Kanzel, hält sich selbst den Spiegel vor und sagt hörbar: "Ach, ich bin’s ja , Gott sei Dank, auch.")

Amen

Pfarrer Eckehard Fröhmelt