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Gerhardt
09.12.2008, 21:58
Den Eröffnungsbeitrag habe ich in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil habe ich den Liedtext eingestllt, im zweiten Teil dann einige Gedanken zum Lied.


Wie soll ich Dich empfangen
(Paul Gerhardt 1653)

1. Wie soll ich dich empfangen,
Und wie begegn' ich dir?
O aller Welt Verlangen,
O meiner Seele Zier!
O Jesu, Jesu, setze
Mir selbst die Fackel bei,
Damit, was dich ergötze
Mir kund und wissend sei.

2. Dein Zion streut dir Palmen
Und grüne Zweige hin,
Und ich will dir in Psalmen
Ermuntern meinen Sinn.
Mein Herze soll dir grünen
In stetem Lob und Preis
Und deinem Namen dienen,
So gut es kann und weiß.

3. Was hast du unterlassen
Zu meinem Trost und Freud?
Als Leib und Seele saßen
In ihrem größten Leid,
Als mir das Reich genommen,
Da Fried' und Freude lacht,
Da bist du, mein Heil, 'kommen
Und hast mich froh gemacht.

4. Ich lag in schweren Banden,
Du kommst und machst mich los;
Ich stund in Spott und Schanden,
Du kommst und machst mich groß
Und hebst mich hoch zu Ehren
Und schenkst mir großes Gut,
Das sich nicht läßt verzehren,
Wie irdisch Reichtum tut.

5. Nichts, nichts hat dich getrieben
Zu mir vom Himmelszelt
Als das geliebte Lieben,
Damit du alle Welt
In ihren tausend Plagen
Und großen Jammerlast,
Die kein Mund aus kann sagen,
So fest umfangen hast.

6. Das schreib dir in dein Herze,
Du herzbetrübtes Heer,
Bei denen Gram und Schmerze
Sich häuft je mehr und mehr.
Seid unverzagt, ihr habet
Die Hilfe vor der Tür;
Der eure Herzen labet
Und tröstet, steht allhier.

7. Ihr dürft euch nicht bemühen
Noch sorgen Tag und Nacht,
Wie ihr ihn wollet ziehen
Mit eures Armes Macht;
Er kommt, er kommt mit Willen,
Ist voller Lieb und Lust,
All Angst und Not zu stillen
Die ihm an euch bewusst.

8. Auch dürft ihr nicht erschrecken
Vor eurer Sündenschuld.
Nein, Jesus will sie decken
Mit seiner Lieb' und Huld.
Er kommt, er kommt den Sündern
Zu Trost und wahren Heil,
Schafft, dass bei Gottes Kindern
Verbleib ihr Erb und Teil.

9. Was fragt ihr nach dem Schreien
Der Feind' und ihrer Tück?
Ihr Herr wird sie zerstreuen
In einem Augenblick.
Er kommt, er kommt ein König,
Dem wahrlich alle Feind'
Auf Erden viel zu wenig
Zum Widerstande seind.

10. Er kommt zum Weltgerichte,
Zum Fluch dem, der ihm flucht,
Mit Gnad und süßem Lichte
Dem, der ihn liebt und sucht.
Ach komm, ach komm, o Sonne,
Und hol uns allzumal
Zum ewgen Licht und Wonne
In deinen Freudensaal!

Quelle: „Paul Gerhardt, Gesamtausgabe seiner Lieder und Gedichte“ Eberhardt von Cranach-Sichart
Von dort habe ich die Zeichensetzung übernommen.

Gerhardt
09.12.2008, 22:04
Das Lied gilt seit 350 Jahren als Adventslied. Warum? Das würde ich gerne Paul Gerhardt oder Johann Crüger (Komponist und Herausgeber des Liedes) fragen, denn vom Weihnachtsgeschehen ist gar keine Rede. Das historische Kommen Jesu wird nur einmal beschrieben. Dabei nimmt der Dichter Bezug auf den Einzug Jesu in Jerusalem (Matth. 21,8). Diesem Ereignis wird im Kirchenjahr an Palmsonntag gedacht und dieser ist eine Woche vor Ostern!

In der letzten Strophe ist dann noch einmal vom Kommen Jesu die Rede:

„Er kommt zum Weltgerichte…“

Jesus als Richter im Jüngsten Gericht hat nun kaum etwas mit Weihnachten zu tun. Und ich denke, kaum einer zöge so eine Verbindung. Soweit meine Anmerkungen zum Weihnachtscharakter dieses Liedes.

Zurück zum Liedanfang. Das Lied beginnt mit einer zweifachen Frage: Wie soll ich Jesus empfangen und ihm begegnen?

Diese Frage stellt sich mir jeden Sonntag, wenn nicht jeden Tag.

Die Frage wird zunächst nicht beantwortet. Noch einem schlichten Lob – o meiner Seele Zier -, folgt eine Bitte „O Jesu, Jesu, setze mir…“

Die Antwort finden wir in der zweiten Strophe, die anders und praktischer ausfällt, nämlich die von mir oben zitierten Zeilen aus dem in dem Paul-Gerhardt-Fenster.

Das „Meine Herze soll dir grünen…“ erinnert mich ein wenig an ein anderes Dichterwort „grau ist alle Theorie, doch grün des Lebens Baum.“
Die Aussage Paul Gerhardts ist tröstend und ermahnend zugleich. Es gibt danach keinen allgemein richtigen Weg Jesu zu begegnen. Vielmehr muss jeder seinen Weg finden und kann dabei auch das Ziel verfehlen. In diesem Sinne verstehe ich den zweiten Teil der Ersten Strophe „…damit, was dich ergötze, mir kund und wissen sei.“

Die dritte Strophe beginnt wieder mit einer Frage, nämlich damit, was Jesus unterlassen habe. Die Antwort besteht aus einer gegensätzlichen Aufzählung. Auf der einen Seite irdische Probleme und Nöte. Auf der anderen Seite die durch Jesus erfahre Hilfe und Gnade. Diese Aufzählung zieht sich durch die folgenden Strophen bis zu Ende des Liedes.

Da ist einmal die Rede von „schwere Banden, Spott und Schanden, tausend Plagen, Jammerlast, Gram und Schmerze“. In starkem Gegensatz dann „hast mich froh gemacht, himmlische (und damit unvergängliche) Ehre und Gut, Trost des Herzens, Trost für Sünder“.

In der letzten Strophe geht es dann um Sterben und Tod. So jedenfalls verstehe ich das

„und hol uns allzumal
zum ewgen Licht und Wonne
in deinen Freudensaal!“

In der fünften Strophe, gewissermaßen in der Mitte des Liedes, schreibt der Dichter dann von den Motiven, durch die Jesu zum Retter und Messias geworden ist.

Nichts, nichts hat dich getrieben…als das geliebte Lieben,
….
damit du alle Welt

Die kein Mund aus kann sagen
so fest umfangen hast.

Liebe und Freude - das sind die Attribute mit denen Paul Gerhardt Gott und Jesus in Verbindung bringt. Für ihn begegnet Gott dem Menschen mit Liebe und Zuneigung. Dies bringt er auch in zahlreichen anderen Gedichten zum Ausdruck. Deshalb meine ich, dass das Lied eigentlich weit über die Adventszeit gültig ist.

Gruß Gerd

Ingo
09.12.2008, 22:59
Hallo Gerd,

am Titel des Liedes wird schon deutlich, dass jemand - wer auch immer - erwartet wird und nimmt man dazu, dass Advent soviel wie Ankunft bedeutet, dann passt das schon wieder.

Ingo