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Fisch
18.09.2006, 07:26
Martin Luther (1483-1546)


Die damalige Zeit


Um Luther und die Reformation verstehen zu können, ist es wichtig, einen Blick in die damalige Zeit zu werfen.

Das geistige Weltbild erfuhr Veränderungen, die in der bisherigen Geschichte des Abendlandes ohne Beispiel sind. Denn es trat buchstäblich eine neue Welt ins Blickfeld: die von Kolumbus entdeckte Neue Welt, also Amerika. Kolumbus repräsentiert gewissermaßen das Aufeinanderstoßen zweier Zeitalter, das Aufeinandertreffen von Mittelalter und Neuzeit. Die Zeit der spanischen und portugiesischen Konquistadoren und der Kolonialisierung beginnt. Die Eroberungssucht greift um sich. Und das Geld strömt. Der Zufluss von Edelmetall, der von den neuen Kolonien kommt, stärkt den spanischen Staatshaushalt, macht Spanien zur wirtschaftlich mächtigsten Macht und zieht zugleich auch den alten Fluch des Goldes nach sich: Spanien wird diesen Reichtum nicht länger als ein Jahrhundert ertragen, und ganz Europa wird in eine wirtschaftliche Krise hineingezogen, die von der Mitte des Jahrhunderts an sich immer schwerer fühlbar macht.

Diese Konfrontation der Zeitalter kennzeichnet sich dadurch, dass einerseits das Leben der Menschen noch immer mittelalterlich geprägt ist, aber andererseits ein neuer Expansionsdrang sich entfaltet, der den Menschen im Mittelalter fast fremd geworden ist. Aberglaube aller Art führt ein mächtiges Regiment, Sternkundige wagen sich auf immer neue Bahnen, Erfinder tauchen auf – alles ist erst in den Anfängen und doch dazu bestimmt, das Weltbild von Grund auf zu ändern.

Und dann gibt es eine Neuerung, ohne die auch die Reformation des Martin Luther so nicht denkbar gewesen wäre: die Buchdruckerkunst. Ihre Bedeutung ist überhaupt nicht zu überschätzen. Durch den Buchdruck gab es eine ungeahnte Öffentlichkeitswirkung. Die Flugblätter, Broschüren und Bücher dieser Jahrhunderte haben in der Tat zum ersten Mal in vollem Umfang jenes moderne Phänomen hervorgebracht, das wir „öffentliche Meinung“ nennen. Die Reformation wäre ohne diese damals ganz neue Technik zur Verbreitung geistiger Erkenntnisse gar nicht vorstellbar.

Und Luther war der erste, der die neue Erfindung zu ihrer vollen Wirkung brachte.



Und die Päpste? Sie waren seit der Mitte des 15. Jahrhunderts fast völlig weltliche Fürsten. Bis zum Ende des Mittelalters waren die Päpste weltlich wie geistlich die Spitze einer straffen, in Stände gegliederten Hierarchie. Die Hierarchie fing unten an bei den Bauern und den armen Leuten und endete oben beim Papst, dem Stellvertreter Christi auf Erden. Es gab keine Regung, keinen Gedanken, keine menschliche Erfahrung, die außerhalb der Herrschaft Gottes, des Erlösungswerkes Christi und der Schlüsselgewalt der Päpste gedacht werden konnte. Dieses institutionelle Gefüge hielt so viele Jahrhunderte lang. Erst gegen Ende des Mittelalters änderte sich dies, als der Staat seine Autonomie von der Kirche einforderte.

Zur Zeit Martin Luthers gab es eine umfassende Volksfrömmigkeit, die sich aber nur in mechanischen Mitteln der Frömmigkeit äusserte: Reliquien, Wallfahrten und der Ablasshandel. Zudem prägte die Menschen eine große Furcht vor dem Tod, vor Fegefeuer und Höllenqualen. Mitten im Leben ist der Mensch vom Tod umgeben – um es auf einen Nenner zu bringen war dies die allgemeine Auffassung. Und all diese Erscheinungen wurden in der Hauptsache gefördert durch eine entartete päpstliche Kirche.



Luthers Qualen


Und genau in diese Zeit fiel das Wirken des Martin Luther.

Luther spürte diese Qualen selbst. Er war selber Mönch geworden, fand aber im Mönchtum nicht die Ruhe, die er suchte. Durch sein ganzes Leben ziehen sich die Schilderungen über die Ängste und Nöte, die ihn damals übermäßig bedrückten und quälten. Er schreibt selber:



„Es ist wahr, ich bin ein frommer Mönch gewesen und habe meinen Orden so streng gehalten, dass ich sagen darf: Ist je ein Mönch in den Himmel gekommen durch Möncherei, so wollte ich auch hineingekommen sein. Das werden mir alle meine Klostergesellen, die mich gekannt haben, bezeugen. Denn ich hätte mich, wenn es länger gewährt hätte, zu Tod gemartert mit Wachen, Beten, Lesen und anderer Arbeit ... Denn wenn nur eine kleine Anfechtung kam von Tod oder Sünde, so fiel ich dahin und fand weder Taufe noch Möncherei, die mir helfen konnten. Christus und seine Taufe hatte ich auf diese Weise schon längst verloren. Da war ich der elendste Mönch auf Erden, Tag und Nacht war lauter Klagen und Verzweifeln, dass mir niemand wehren konnte.“



Hier werden wir doch stark an den Apostel Paulus erinnert, der auch ein streng erzogener und praktizierender Pharisäer war, der jedoch, bevor er zum Glauben an Jesus kam, genauso vom Tode umgeben war, wie Luther. Auch ist es sicher eine Ermutigung für die heutigen Christen zu wissen, dass auch der große Reformator Martin Luther von schwersten Anfechtungen umgeben war.





Der Ausgangspunkt der Reformation


Luther war 1511 nach Wittenberg gekommen, zum zweiten Mal. Sein Orden, vor allem der Generalvikar Johann von Staupitz, ein gütiger und seelsorgerlich begabter Kirchenfürst, dem Luther zeitlebens sehr dankbar war, setzte große Erwartungen auf den jungen Bruder Martinus. Luther sollte die von Staupitz verwaltete Professur als Doktor der Theologie übernehmen.

Doch Luthers Sinn war, wie oben bereits angedeutet, seit längerem von schweren Anfechtungen erfüllt. Wir wissen, mit welchem ungeheuren Ernst er in seinen Klostertagen die Frömmigkeitsübungen betrieb, die die mittelalterliche Kirche dem Menschen anbot, wenn er um das Heil seiner Seele besorgt war. Und Luther ließ kaum eine der vielen Möglichkeiten aus, die die Kirche für die Absolution anbot.

Woraus aber bestanden seine Anfechtungen?

Es waren keine rein äußerlichen, körperlichen Anfechtungen, auch waren es keine intellektuellen Zweifel. Vielmehr stellte Luther sich die Frage: „Kann ich überhaupt vor Gott bestehen?“ Er empfand, dass er verloren sei, wenn er hier keine Antwort fand. Das war die Anfechtung: Einerseits Glauben nur als Werk und Gabe des von aussen auf den Menschen einwirkenden göttlichen Tuns und Handelns – andererseits erlebte er ihn doch als unmittelbar persönliche Erfahrung. Für Luther war dies das „Rätsel von Gottes Gerechtigkeit“.





Luthers Turmstunde


Luther war inzwischen Professor der Theologie in Wittenberg. In einer speziellen Nacht, es muss im Wintersemester 1512/1513 gewesen sein, hatte er wieder einmal schwere Anfechtungen. Zunächst fand er Trost bei Staupitz, der ihm sagte, dass Anfechtungen zu einem richtigen Christenleben dazugehörten. Aber auch Staupitz konnte Luther nicht von dessen Glaubenskämpfen befreien. Luther muss damals einen sehr radikalen Kampf geführt haben, so dass er seinen Weg wohl allein zu Ende gehen musste.

Es ist ein Glücksfall, dass Luther ein Jahr vor seinem Tod die Stunde beschrieben hat, in der die Weichen für die Reformation gestellt wurden:



„Wiewohl ich als ein untadeliger Mönch lebte, verspürte ich doch unruhigen Gewissens, dass ich vor Gott ein Sünder sei und dass ich mich darauf verlassen könnte, durch meine eigene Genugtuung versöhnt zu sein. Ich liebte nicht nur nicht – nein, ich hasste den gerechten Gott, der die Sünder straft. Nicht gerade mit stummer Lästerung, sicherlich aber mit unermesslichem Murren entrüstete ich mich über Gott und sprach: als ob es nicht genug sei, dass die elenden Sünder, die auf ewig durch die Erbsünde verloren seien, mit aller nur denkbaren Not durch das Gesetz der Zehn Gebote bedrückt wären, habe Gott noch durch das Evangelium Schmerz auf Schmerz hinzugefügt und durch das Evangelium selbst uns seine Gerechtigkeit und seinen Zorn angedroht. So tobte ich in meinem wilden und verwirrten Gewissen und bemühte mich ungestüm um jene Stelle bei Paulus, von der ich brennend gern gewusst hätte, was St. Paulus wolle.

Bis Gott sich erbarmte und ich, der ich Tag und Nacht nachgedacht hatte, den Zusammenhang der Worte begriff, nämlich: der Gerechte wird aus Glauben leben. Da fing ich an, die Gerechtigkeit Gottes zu verstehen, durch die der Gerechte als durch ein Geschenk Gottes lebt, nämlich aus Glauben heraus. Und dass dies der Sinn sei: dass durch das Evangelium Gerechtigkeit Gottes offenbart werde, nämlich eine passive, durch die Gott uns in seiner Barmherzigkeit durch Glauben rechtfertigt, wie geschrieben steht: der Gerechte soll aus Glauben leben. Hier spürte ich, dass ich völlig neu geboren sei und dass ich durch die geöffneten Pforten in das Paradies selbst eingetreten sei, und da erschien mir von nun ab die Schrift in einem ganz anderen Licht. Ich eilte durch die Schrift hindurch, wie es mein Gedächtnis hergab, und verglich in anderen Wörtern die Analogie, dass nämlich das Werk Gottes das ist, das Gott in uns tut, die Kraft Gottes, durch die er uns mächtig macht, die Weisheit Gottes, durch die er uns weise macht, die Stärke Gottes, das Heil Gottes, die Ehre Gottes. Und so sehr ich die Vokabel Gerechtigkeit Gottes gehasst hatte, so viel mehr nun hob ich dieses süße Wort in meiner Liebe empor, so dass jene Stelle bei Paulus mir zur Pforte des Paradieses wurde.“ (Die „Stelle“ = Römerbrief 1,17: "Der Gerechte aber wird aus Glauben leben")



Da sich Luthers Arbeitszimmer, die Stätte dieser Entscheidung, wahrscheinlich im Turm des schwarzen Klosters zu Wittenberg befand, nennt man diese Stunde das Turmerlebnis Luthers.

Und diese Stunde war die Geburtsstunde der Reformation. Ohne das Turmerlebnis gäbe es weder die berühmte Thesenverkündigung noch den Reichstag von Worms. Aus dem Ringen eines Einzelnen um Gott ist der gesamte Aufbruch der neuen Zeit geboren.

Und auch hier erinnern wir uns wieder an den Apostel Paulus. Auch dieser hatte seine „Stunde“ vor Damaskus und auch seine Stunde läutete etwas Grosses ein, nämlich den Beginn der Heidenmission.





Die Folgen


Zunächst geschieht noch nicht viel Aufsehen erregendes. Die Geburtsstunde einer neuen Zeit hat geschlagen, aber für ein paar Jahre geschieht nichts anderes, als dass sich ein theologisches Weltbild verwandelt, weil ein Christ aus seinen Anfechtungen durch die befreiende Erkenntnis von der Gnade Gottes in Christus erlöst ist. Luther setzt seine neuen Erkenntnisse um und lässt sie in seine Vorlesungen über den Römer- und den Galaterbrief einfließen.

Etwa vier Jahre nach seinem Turmerlebnis verfasst Luther seine Thesen. Die erste der 95 Thesen lautet:

1. Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht "Tut Buße" (Mt. 4,17), hat er gewollt, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll.



Das Ablasswesen, die Verwandlung der Buße in eine käufliche Angelegenheit war Luther mit vielen anderen längst ein Ärgernis geworden. Daher entschloss er sich zum Handeln. Er wählte zunächst einen akademischen Weg und verfasste 95 Thesen, die er zur wissenschaftlichen Disputation vorlegte. Und diese schlug er vor Allerheiligen 1517 an das Wittenberger Schloss. Zur angekündigten Disputation meldete sich niemand. Etwa 14 Tage war es totenstill um die Thesen. Doch es war nur die Spanne, die zwischen dem Hineinschleudern des Funkens in die Ladung und der Explosion selbst verging.

Dann brach der weltgeschichtliche Sturmwind los. Luther hatte einige Exemplare seiner Schrift an Freunde geschickt. Diese sorgten, wohl ohne Luthers Zustimmung, für die Verbreitung der Thesen. Der Sturm fegte mit solcher Wucht durch Deutschland, dass er Luther selbst den Atem zu nehmen drohte. Denn dieser erkannte nun auch, welche Wirkung seine einzelne Handlung hatte: Er gab den Anlass zu einer geschichtlichen Wende.



Luther selbst hat in dem allen einfach seinen persönlichen Weg im Gehorsam und Glauben weiterverfolgt. Was ihm in seinem Turmerlebnis über das Wesen der Gnade Gottes und die göttliche Vergebung aufgegangen war, vertrug sich weder grundsätzlich noch praktisch mit dem, was unter den Händen der Ablasshändler aus der Buße geworden war. Und doch strebte Luther nie nach persönlicher Macht, zeitlebens hat er eine Verachtung der äusserlichen Macht bewiesen. Allein sein Glauben an Gottes Handeln in der Welt bestimmte sein Handeln.



Die weitere Entwicklung führt Luther 1521 zum Reichstag zu Worms, wo er sich verantworten sollte. Es war zweifellos eine bedeutende Zusammenkunft, der deutsche Kaiser war zugegen, die Fürsten des Reiches waren ungewöhnlich zahlreich vertreten und natürlich fehlte auch nicht der päpstliche Nuntius Aleander. Die öffentliche Aufmerksamkeit galt Martin Luther. Ihm schlug eine Welle der Begeisterung entgegen, weil er den Mut hatte, in Worms zu erscheinen. In der rappelvollen Kirche seines Ordens predigt Luther zuvor und sagt:

„Ich weiß wohl, dass man’s nicht gerne hört. Dennoch will ich die Wahrheit sagen und muss es tun, sollte es mich zwanzig Hälse kosten, auf dass mir der Spruch nicht gesprochen werde.“



Es war am Abend des 18. April, die Fackeln brannten schon in dem von Menschen überfüllten Saal, als Luther zum zweiten Mal vor dem Reichstag stand. In seiner grossen Rede widerrief er nicht, sondern forderte den Nachweis seiner Irrtümer. Nun entgegnete der Offizial, seine Sätze seien bereits verdammt und bedürften keiner Erörterung. Er solle eine ungehörnte und unbemäntelte Antwort geben. Diese lautete:

„Da Eure kaiserliche Majestät und Eure Herrlichkeiten eine schlichte Antwort begehren, so will ich eine solche ohne Hörner und Zähne geben diesermaßen: Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde – denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilien allein, da es am Tag ist, dass sie desöfteren geirrt und sich selbst widersprochen haben -, so bin ich durch die von mir heiligen Schriften überwunden in meinem Gewissen und gefangen in Gottes Wort; widerrufen kann ich nichts und will ich nichts, weil wider des Gewissen zu handeln weder sicher noch heilsam ist. Gott helf’ mir! Amen.“



Der Kaiser Karl V. erklärt Luther daraufhin zum Ketzer, sichert ihm aber freies Geleit zu.

Als Luther nach seiner Abreise aus Worms am 4. Mai nahe Eisenach überfallen und entführt wurde, wusste niemand, dass dieser Überfall nur fingiert war, um ihn im Auftrag Friedrichs des Weisen vor Mordabsichten Dritter zu schützen.

Luther wird in die Wartburg zu Eisenach gebracht, wo er sich daran macht, das Neue Testament in die deutsche Sprache zu übertragen. In nur drei Monaten stellt er es fertig. Im Frühjahr 1522 wird das Werk in Druck gegeben und erscheint im September ohne Nennung des Übersetzers. Die Erstauflage beträgt 3.000 Stück und ist binnen kürzester Zeit vergriffen, worauf erneut 3.000 Exemplare gedruckt werden.



Es erfolgte nach seiner Abreise aus Eisenach ein weiteres gesegnetes Wirken und Predigen. Am 18. Februar 1546 verstarb Luther in der gleichen Stadt Eisleben, in der er 62 Jahre vorher geboren war.

Überliefert ist eines der letzten Gebete Luthers, das sein ganzes Leben, sein Leben mit Gott, charakterisiert:



„O mein himmlischer Vater, Gott und Vater unseres Herrn Jesu Christi, du Gott alles Trostes, ich danke dir, dass du mir deinen lieben Sohn Jesum Christum offenbart hast, an den ich glaube, den ich gepredigt habe, welchen der leidige Papst und alle Gottlosen schänden, verfolgen und lästern. Ich bitte dich, mein Herr Jesu Christe, lass dir meine Seele befohlen sein. O himmlischer Vater, ob ich schon diesen Leib lassen und aus diesem Leben weggerissen werden muss, so weiß ich doch gewiss, dass ich bei dir ewig bleiben und aus deinen Händen mich niemand reissen kann. In deine Hände befehle ich meinen Geist, du treuer Gott“


Quelle: http://www.christliche-autoren.de
Autor: Eckart Haase