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vielleicht
10.10.2006, 12:55
An einer kalten, grauen Außenwand eines Miethauses hängt unbeachtet ein alter Briefkasten. Hilflos ist er der Witterung ausgeliefert. Die Jahre, der Sturm, der Regen, die Hitze und die bebende Kälte sind nicht spurlos an ihm vorübergegangen.
Die Zeit hat an ihm gezerrt, hat an seinem Lack genagt. An manchen Stellen splittert sein Lack ab. Wehrlos begegnet er dem zerstörenden Rost, der eines Tages den Tod mit sich bringt. Er kann sich nicht vor ihm schützen. Hängt festgenagelt an der kalten Wand und kommt nicht vom Fleck. Dabei spürt er, so schön, so unbefangen und frei, so jung und stolz wie einst wird er nie wieder sein.

Wenn du in diesem Augenblick stehen bleiben, dir Zeit nehmen und ihm zuhören würdest. Dann könntest du seine Stimme hören.
Sie hätte den leisen Klang eines Alten, Verletzten, zuwenig Beachteten. Leid würde in seiner Stimme liegen. Nur schweigend könntest du erahnen, daß sein Leid aus dem Schmerz der Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit geboren wurde. Enttäuschung und Resignation könntest du heraushören, wenn er dir von seinen täglichen Besuchern erzählen würde. Von den Zeitungsausträgern, den Postboten und all den anderen Menschen die immer wiederkehren. Die routiniert, mit voller Wucht seinen Briefkastendeckel aufreißen und in ihn hineinstopfen was anscheinenden hineingehört. Ob die Last dem Briefkasten zu schwer ist wird er nie gefragt. Niemanden scheint es zu interessieren, wie er mit dieser Last fertig wird. Ob er sie tragen, ertragen kann und will. Ob er es zulassen möchte, daß man ungefragt all den Ballast in sein Innerstes steckt.
Dabei weiß er, daß er die Pflicht hat die Post zu schlucken und sie schweigend zu ertragen.
Doch manchmal fällt es ihm schwer den täglich gewohnten Schmerz auszuhalten und nicht unter der Last zusammenzubrechen.

Früher, ja da hatte er einen Traum.
Seine Stimme würde jetzt einen zärtlichen Schauer erhalten. Sanft, fast poetisch würde er dir von seinem Traum erzählen.
Davon, daß er vor vielen Jahren freiwillig ein Briefkasten werden wollte. Andere warnten ihn davor, rieten ihm ab. Doch er träumte davon einem einzigen Menschen Freude bereiten zu dürfen. Er wollte einen Menschen lieben und dienen, nur für ihn da sein und zu ihm gehören. Er sehnte sich danach die ihm anvertrauten Schätze des Menschen aufbewahren und beschützen zu dürfen. Er sehnte sich nach Begegnung. Er träumte von dem Menschen, dem er einmal ganz gehören würde. Für den er mehr wäre wie ein metallener Kasten.

Voller warmer Hoffnung malte er sich aus wie es einmal sein wird, wenn sein Traum in Erfüllung geht. Und im Traum konnte er schon die warme, vertraute Hand des Menschen spüren. Er konnte mehr als erahnen wie es einmal sein wird, wenn diese eine Hand ihn, mit der liebevollen Behutsamkeit, öffnen wird und sanft die Schätze aus ihm herausnehmen und ihn von all der Last befreien wird. Auch träumte er von den leuchtenden, freudig erregten Augen seines Besitzers, denen er immer wieder begegnen dürfte.
Das war sein Traum, seine Hoffnung, sein Ziel. Dafür würde sich alles lohnen.

Und während dem Erzählen des Traumes, von dem er glaubte schon längst ausgeträumt zu sein, würde er erkennen, daß sein Traum manchmal sogar in Erfüllung geht.
Manchmal darf er Schätze in sich tragen und aufbewahren. Manchmal kann er in das freudige Leuchten der Augen seines Menschen blicken. Manchmal darf er erleben, wie diese eine Hand ihn warm und zärtlich berührt. Wie sie ihn sanft öffnet und behutsam, ja liebevoll von der Last befreit.
Immer wenn ein liebevolles Wort, ein kleiner Gruß, ein Gedanke für seinen Mensch gedacht... in ihm ist, verblaßt die Schwere der Last, der Trübsinn des Alltags.
In solchen Momenten kann er tief durchatmen, kann Kraft schöpfen. All die Stöhnpost wie: Rechnungen, Mahnungen, Strafzettel, Werbungen... die ihm so oft Bauchschmerzen bereiten werden unwichtig. Ihre Last wird leichter, spürbar tragbarer.
An solchen Tagen des Glücks beginnt er den Sinn seines Seins zu verstehen. Vorsichtig erahnt er, daß es sich lohnt den Schmerz und die Last auszuhalten. Trotz allem weiter zu kämpfen. Auch wenn er die Gewißheit spürt, daß es immer nur ein kurzer Moment des tiefen Glücks ist und sein wird.
Seine Stimme würde jetzt bunte Farben erhalten. Sie würde an Stärke gewinnen und neue Kraft in sich tragen. Hoffnung würde ihn durchströmen.
Er könnte wieder an sein Ziel glauben, seinem Traum trauen. Vielleicht würde er sogar verstehen, daß die ihm oft zu schwer erscheinende, schmerzende Last ihren tiefen Sinn hat und es sich lohnt auszuhalten.

Fisch
10.10.2006, 13:05
((((((((socke))))))))))))

Popcorn
10.10.2006, 13:52
Liebe Socke

Danke für deine Geschichte. Sie hat sehr viel Inhalt und Tiefe. Ich möchte gar nicht viel sagen, sie nicht schmälern durch leere Worte von mir. Wir kennen alle den Briefkasten - nur zu gut - in unserem Leben.

Ich habe kürzlich jemandem eine längere Mail geschrieben, nach einer Zeit wo wir zusammen etwas etwas sehr tiefgreifendes erlebt haben. Weil es so passt, setzte ich einen Teil davon hier rein.

Die Person, der ich das gewidmet habe, wird es wiedererkennen. Ihr möchte ich hier danke sagen für diese besonders wertvolle Zeit. Für das an meiner Seite bleiben, für das Aushalten. Und ich weiss, dass es für dich stimmt, wenn diese Zeilen auch für Söckchen sind.

Du sagst: es wird Nacht
Du hast recht
Du weisst es
Du spürst es
Du hälst es aus

Ich sage: es wird Nacht
Ich habe recht
Ich weiss es
Ich spüre es
Ich halte es aus

Wir sagen: es ist Nacht
Wir haben recht
Wir wissen es
Wir spüren es
Wir sterben in dieser Nacht

Wir sterben uns selber
Dem Balast des Lebens
Dem Lauf der Welt
Den unnützen Worten
Den Masken
Was bleibt ist Jesus allein