die Verrückte mit der Babypuppe

mit der folgenden Geschichte möchte ich keinen verletzen, angreifen oder ähnliches. keiner ist gezwungen, sie zu lesen.
Sollte sie zu heftig sein, bitte ich um Vergebung und gebe die Erlaubnis, sie zu löschen.
Sandkorn

in einem kleinen Dorf, ihr wißt schon, wo jeder den anderen kennt und die Nachrichten nicht per Zeitung ins Haus flattern, sondern noch über dem Gartenzaun erzählt werden, war etwas passiert, dass jedem Bewohner die Röte ins Gesicht trieb, wenn er nur darüber nachdachte:

Alles begann, als dieses fremde Mädchen ins Dorf zog, damals im Herbst.
Keiner kannte sie, keiner wußte, wo sie herkam und dann war da noch der dicke Bauch, der erst Quelle für Spekulationen über eine Schwangerschaft bot, dann aber ganz plötzlich verschwunden war, aber kein Baby war zu sehen oder zu hören...

Die Dorffrauen zerrissen sich vor Eifer. bei jeder Gelegenheit und auch einfach so, versuchten sie einen Blick zu der Wohnung der Fremden zu erhaschen. Man lauschte, ob man Babygeschrei vernahm- doch es blieb still.
Später dann beobachtete man, wie die junge Frau jeden Tag aus dem Haus trat, immer zur gleichen Zeit, und einen Kinderwagen vor sich her durch den Park schob.
Die neugierigen Blicke erspäten schnell, dass jedoch kein lebendes Wesen darin, sondern eine schlafende Babypuppe darin lag.
Und nun begannen die Gerüchte um so mehr zu kochen.
"Verrückt"- sagte man; einfach " irre" dieses Verhalten. War die junge Frau doch kein Kind mehr, kein Mädchen von 8 oder 9 Jahren, bei dem es " normal" gewesen wäre, mit Puppen zu spielen...

Die junge Frau sprach kein Wort, kaufte gelegentlich Spielsachen neben den gewöhnlichen Lebensmitteln im Dorfgeschäft.
Jedes Mal, wenn sie durch die Straßen ging, brachen alle Gespräche schagartig ab, die Blicke bannten sich auf die geheimnissvolle Fremde und kopfschüttelnd tuschelten die Dorffrauen hinter dem Rücken, der schmalen, blassen "Verrückten".
Die Dorfkinder stellten sich an dem Haus der "verrückten" auf und dichteten auf ihre Weise Reime...klingelten an der Tür und liefen kichernd weg...
"da muß man doch was machen- das ist doch nicht normal!"
Also schickte man ihr aus Fürsorge das Jugendamt ins Haus ( anonym natürlich)
Doch die zuständige Beamte wurde von der jungen Frau an der Tür abgewiesen.
Dann machte sich der Dorfpfarrer auf den Weg über die Straße und klingelte besorgt an der Wohnungstür.
Die junge Frau öffnete, lies ihn eintreten, eine Stunde später verabschiedeten sich der Pfarrer und die Frau mit der Babypuppe freundlich und die Tür fiel ins Schloß.
"Gehört sie in unsere Gemeinde? Sagen sie schon, ist sie kirchlich, oder nicht?"- wieder durchbohrten die neugierigen Fragen des Pfarrers Blicke.
Doch der zuckte mit den Schultern- wir haben Kuchen gegessen und ein wenig gesprochen, sie wirkte ganz normal".

Dann dieser sonnige Frühlingstag im Dorf. Alle trafen sich auf dem Dorfplatz vor der Kirche zum großen Jahresfest.
Alle gingen daran vorbei- die Polizei stand sichtbar vor der Wohnung der jungen Fremden, dann kam der Anruf beim Pfarrer-
sein Gesicht wurde bleich, seine Schritte schwer, nachdenklich verlies er das fröhliche Treiben und ging in die Wohnung der "jungen Verrückten".

Wenige Minuten blieb er, dann schleppte er sich heim.
Lange schwieg er. Seine Frau machte sich Sorgen, weil er nicht aus seinem Arbeitszimmer kam, nicht zum Mittag, nicht zum Abendessen...
Dann betrat sie das Zimmer und ihr Mann saß regeungslos im Lehnstul.
Seine Augen waren starr aus dem Fenster gerichtet.
"Was ist passiert?"
Wortlos glitt dem Pfarrer ein Papier aus der Hand und seine Frau begann es zu lesen:

"Ich weiß, Herr Pfarrer, dass sie ein guter Mensch sind. Sie wollten meine Geschichte hören, doch damals schämte ich mich, sie ihnen von Gesicht zu Gesicht zu erzählen.
Die Menschen in ihrem Dorf sind nette leute, auch, wenn ich ihre Blicke spürte und ihre Verachtung sich mit Unverständnis mischte, wenn ich an ihnen vorbei ging.
Als ich hier her kam, trug ich ein Kind im Bauch, dessen Vater ich nie kannte und so sehr hasste, weil er in einer Nacht über mich herfiel.
Hier, in diesem Dorf wollte ich neu beginnen, weit weg von all dem, was einmal war.
Doch dann teilten mir Ärzte mit, dass ich das Kind nicht bekommen könnte, weil ich sonst sterben müsste.
Ich saß einmal in ihrer Kirche und betete zu Gott, was ich tun sollte.
Doch dann ging ich wieder, weil ich nicht stören wollte.
Ich entschied mich, das Kind zu bekommen und auf die Chemotherapie zu verzichten.
Ich ging durch die Dorfstraßen und Freude kam in mir auf, wenn ich Kinder spielen sah mit ihren Müttern...
Doch das Baby starb, erstickte in meinem Bauch.
Ich weiß, es muß verrückt sein, mit einer Puppe durch ihr Dorf zu gehen, ich weiß, es ist nicht "normal"- wie sehr die Menschen hier recht hatten.
Und doch habe ich die Zeit genossen hier im Dorf.
Doch jetzt will ich nicht mehr warten, bis mich der Krebs zerfrisst. ..."

"Sie ist...? "
Wieder fällt der Brief zu Boden. Sprachlos stehen beide im Arbeitszimmer.
Als der Dorfpfarrer laut zu denken beginnt:
" Und wir hielten sie für verrückt? Verrückt, ohne zu wissen, warum...
Vater, vergib uns, denn wir wußten alle nicht, was wir taten."

(G. K)