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Thema: @Leucrotta

  1. #1

    Standard @Leucrotta

    Ich muß immer an dich denken bei dem, was Henryk Broder mal bei einer Anhörung zum Thema Antisemitismus gesagt hat.

    Meine Damen und Herren, liebe Kollegen, sehr geehrte Frau Köhler, sehr geehrter Herr Edathy,

    ich danke Ihnen für die Einladung zu dieser Anhörung. Es ist mir eine Ehre, zu Ihnen sprechen zu dürfen. Ich weiß, dass es einige Irritationen wegen meiner Teilnahme gegeben hat. Aber ich bin sicher, dass Sie am Ende meines Statements es nicht bereuen werden, mich eingeladen zu haben.

    Es ist nicht die erste Anhörung zum Thema Antisemitismus, und es wird nicht die letzte bleiben. Seit der Schriftsteller und bekennende Judenfeind Wilhelm Marr im Jahre 1879 die Schrift „Der Sieg des Germanenthums über das Judenthum – Vom nichtconfessionellen Standpunkt aus betrachtet“ veröffentlichte und damit zum Wortführer des politischen Antisemitismus im Kaiserreich avancierte, hat es zahllose Versuche gegeben, den Antisemitismus zu definieren, zu erklären und zu neutralisierten – sie sind alle gescheitert. Wäre dem nicht so, säßen wir heute nicht hier. Jede Diskussion über den Antisemitismus fängt mit einer Begriffsbestimmung an, viele kommen nicht darüber hinaus, und am Ende aller Bemühungen, das Phänomen in den Griff zu bekommen, steht die Erkenntnis: „Antisemitismus ist, wenn man die Juden noch weniger leiden kann, als es an sich notwendig ist.“

    Ich möchte mich deswegen auf zwei Punkte konzentrieren, auf die ich Ihre Aufmerksamkeit lenken möchte, zwei Argumente, die man beachten muss, wenn man nicht eine virtuelle Debatte führen will.

    Erstens: Wir haben es beim Antisemitismus nicht mit einem Vorurteil, sondern mit einem Ressentiment zu tun. Vorurteile sind harmlos; man braucht sie, um sich im Leben zurechtzufinden. Ich habe Vorurteile, Sie haben Vorurteile, jeder Mensch hat Vorurteile. Und wir stören uns nur an negativen Vorurteilen. Wenn ich Ihnen sage, dass die Deutschen fleißig, diszipliniert und gastfreundlich sind, werden Sie mir erfreut zustimmen. Wenn ich dagegen sage, dass die Deutschen geizig, humorlos und kindisch sind, werden Sie sich vermutlich empören. Das, werden sie sagen, ist eine unzulässige Verallgemeinerung. Mit den Juden ist es genauso. Positive Vorurteile – das Volk des Buches, das Volk des Witzes – hören wir uns gerne an; negative, die unsere Neigung zu schlechtem Benehmen thematisieren, fassen wir als Beleidigung auf.

    Der Unterschied zwischen einem Vorurteil und einem Ressentiment ist folgender: Ein Vorurteil zielt auf das Verhalten eines Menschen, ein Ressentiment auf dessen Existenz. Der Antisemitismus gehört in die Kategorie der Ressentiments. Der Antisemit nimmt dem Juden nicht übel, wie er ist und was er tut, sondern dass er existiert. Der Antisemit nimmt dem Juden sowohl die Abgrenzung wie die Anpassung übel. Reiche Juden sind Ausbeuter, arme Juden sind Schmarotzer, kluge Juden sind überheblich und dumme Juden – ja, die gibt es auch – eine Schande für das Judentum. Der Antisemit nimmt dem Juden prinzipiell alles übel, auch das Gegenteil. Deswegen bringt es nichts, mit Antisemiten zu diskutieren, sie von der Absurdität ihrer Ansichten überzeugen zu wollen. Man muss sie ausgrenzen, sie in eine Art sozialer Quarantäne isolieren. Die Gesellschaft muss klar machen, dass sie den Antisemitismus und den Antisemiten verachtet, so wie sie die Prügelstrafe als Mittel der Erziehung und die Vergewaltigung – auch die eheliche – verachtet, wohl wissend, dass sie nicht alles kontrollieren kann, was hinter zugezogenen Gardinen und unter vier Augen passiert.

    Zweitens: Wenn Sie dem Antisemitismus beikommen wollen, müssen Sie einsehen, dass er keine fixe Größe ist, wie der Urmeter in Paris oder die Definition für Volt, Watt und Ampere. Wie alle sozialen Phänomene unterliegt auch der Antisemitismus einem Wandel. Auch Armut ist heute nicht mehr das, was sie zur Zeit von Oliver Twist oder Aschenputtel war.

    Der Antisemitismus, über den wir immer noch am liebsten reden, stammt aus der Asservatenkammer des letzten und vorletzten Jahrhunderts. Es ist, um mit Bebel zu sprechen, der Sozialismus der dummen Kerle, die noch immer einem Phantom nachjagen. Der gewöhnliche Antisemit hat vom Gegenstand seiner Obsessionen keine Vorstellung, nur eine diffuse Ahnung. Er tobt sich aus, indem er Hakenkreuze an Bauzäune malt und „Juda verrecke!“ auf Grabsteine schmiert – ein Fall für die Polizei und das örtliche Amtsgericht, nicht mehr. Niemand wird sich mit Rabauken solidarisieren, die den Arm zum Hitlergruß heben und dabei „Juden raus!“ schreien. Diese Art des Antisemitismus ist hässlich, aber politisch irrelevant, ein Nachruf auf sich selbst.

    Der moderne Antisemit dagegen tritt ganz anders auf. Er hat keine Glatze, dafür Manieren, oft auch einen akademischen Titel, er trauert um die Juden, die im Holocaust ums Leben gekommen sind, stellt aber zugleich die Frage, warum die Überlebenden und ihre Nachkommen aus der Geschichte nichts gelernt haben und heute ein anderes Volk so misshandeln, wie sie selber misshandelt wurden. Der moderne Antisemit glaubt nicht an die „Protokolle der Weisen von Zion“, dafür fantasiert er über die „Israel-Lobby“, die Amerikas Politik bestimmt, so wie ein Schwanz mit dem Hund wedelt. Der moderne Antisemit gedenkt selbstverständlich jedes Jahr der Befreiung von Auschwitz am 27. Januar, zugleich aber tritt er für das Recht des Iran auf atomare Bewaffnung ein. Denn: „Was man Israel oder Pakistan gewährt, kann man dem Iran nicht verweigern“ – Originalton Norman Paech. Oder er dreht kausale Zusammenhänge um und behauptet, die atomare Bedrohung gehe nicht vom Iran, sondern von Israel aus – wie es Professor Udo Steinbach vor kurzem in einer Sendung des WDR getan hat.
    Der moderne Antisemit findet den ordinären Antisemitismus schrecklich, bekennt sich aber ganz unbefangen zum Antizionismus, dankbar für die Möglichkeit, seine Ressentiments in einer politisch korrekten Form auszuleben. Denn auch der Antizionismus ist ein Ressentiment, wie der klassische Antisemitismus es war. Der Antizionist hat die gleiche Einstellung zu Israel wie der Antisemit zum Juden. Er stört sich nicht daran, was Israel macht oder unterlässt, sondern daran, dass es Israel gibt. Und deswegen beteiligt er sich so leidenschaftlich an Debatten über eine Lösung der Palästina-Frage, die für Israel eine Endlösung bedeuten könnte, während ihn die Zustände in Darfur, in Zimbabwe, im Kongo und in Kambodscha kalt lassen, weil dort keine Juden involviert sind. Fragen Sie doch mal den außenpolitischen Sprecher der Linken, wie viele Stellungnahmen er in den letzten Monaten zu „Palästina“ abgegeben hat und wie viele zu Tibet. Danach reden wir weiter.

    Früher – sagen wir: zurzeit von Wilhelm Marr, Karl Lueger und Adolf Stoecker – war alles ganz einfach. Es gab die Juden, die Antisemiten und den Antisemitismus. Nach 1945 gab es dann aus den bekannten Gründen einen Antisemitismus ohne Juden, und heute haben wir es wieder mit einem neuen Phänomen zu tun: einem Antisemitismus ohne Antisemiten. Neu ist auch das Berufsbild des Freizeitantisemiten, der tagsüber seiner regulären Arbeit nachgeht – unter Umständen sogar bei einer Bundesbehörde – und nach Dienstschluss „israelkritische“ Texte verfasst, die dann auf obskuren antizionistischen Websites erscheinen. Niemand will ein Antisemit sein, aber in der Hall of Shame der Antizionisten wird der Platz langsam knapp.

    Antisemitismus und Antizionismus sind zwei Seiten derselben Münze. War der Antisemit davon überzeugt, dass nicht er, der Antisemit, sondern der Jude am Antisemitismus schuld ist, so ist der Antizionist heute davon überzeugt, dass Israel nicht nur für die Leiden der Palästinenser, sondern auch dafür verantwortlich ist, was es selbst erleiden muss.

    Die Älteren unter Ihnen werden sich vielleicht noch an den Satz erinnern, mit dem ein grüner Politiker, der noch immer dem Bundestag angehört, zurzeit des Golfkrieges die irakischen Raketenangriffe auf Israel Anfang 1991 kommentierte: „Die irakische Raketenangriffe sind die logische, fast zwingende Konsequenz der Politik Israels.“ Derselbe grüne Politiker sprach sich damals auch gegen die Lieferung von Defensivwaffen wie den Patriot-Raketen an Israel aus, weil diese ebenfalls zur Eskalation der Lage beitragen würden. Heute, 17 Jahre später, hören und lesen wir ähnliche Sätze über Raketenangriffe aus dem südlichen Libanon und dem Gazastreifen auf Israel – dass sie die logische, fast zwangsläufige Folge der Besatzungspolitik Israels seien und dass Israel gut daran täte, nicht zu reagieren, um eine Eskalation zu vermeiden. Denn der moderne Antisemit verehrt Juden, die seit 60 Jahren tot sind, nimmt es aber lebenden Juden übel, wenn sie sich zur Wehr setzen. Er ruft „Wehret den Anfängen!“, wenn eine handvoll Hobbynazis in Cottbus aufmarschiert, rechtfertigt aber die Politik des iranischen Präsidenten und den Fortgang der Geschäfte mit dem Iran.

    Meine Damen und Herren, wir werden das Problem des Antisemitismus nicht lösen, nicht bei dieser Anhörung und nicht bei der nächsten. Aber allein, dass Sie sich mit diesem Thema befassen, obwohl es andere und wichtigere Probleme gibt, die behandelt werden wollen, ist ein gutes Zeichen. Wenn ich Ihnen in aller Demut und Bescheidenheit eine Empfehlung geben darf: Überlassen sie die Beschäftigung mit dem guten alten Antisemitismus à la Horst Mahler den Archäologen, den Antiquaren und den Historikern. Kümmern Sie sich um den modernen Antisemitismus im Kostüm des Antizionismus und um dessen Repräsentanten, die es auch in Ihren Reihen gibt.

    Ich danke Ihnen, dass Sie mir zugehört haben.
    Alle sinnlichen Genüsse regen bei edlen Naturen den Geist an. Bei unedlen Naturen jagen sie ihn davon. - Waldemar Bonsels

    Von der Natur aus gibt es weder Gutes noch Böses. Diesen Unterschied hat die menschliche Meinung gemacht. - Sextus Empiricus



    )O(


  2. #2

    Standard

    Sawel, du hast es mit diesem Text wirklich gut auf den Punkt gebracht! DANKE!

    Absalom

  3. #3
    Leucrotta Gast

    Standard

    Abgesehen davon, dass dieser Text offenbar eine neu definierte Gruppe Menschen ("Neue Antisemiten") ausgrenzen und kriminalisieren möchte und daher glasklar Volksverhetzung darstellt, weist Hendrik Broder hier wieder einmal die geistigen Qualitäten eines Professors für Rassenhygiene auf: Auf den Punkt gebracht, die Bandbreite der Menschen die man "Antisemitisch" nennen darf geht nun also von Rechtsextremen bis hin zu Leuten die Israel aufgrund dessen Verstösse gegen humanitäres Recht kritisieren.

    Glauben Sie ernsthaft, dass irgend ein Mensch der sich nicht gerade im Zustand der israelischen Nationalpsychose befindet, geschweige denn ein ordentlicher Richter, einen solchen Blankocheck zum Rufmord an allen Menschen, welche die rassistischen israelischen Militärpropaganda mit Skepsis betrachten ausstellen würde ?

  4. #4

    Standard

    Zitat Zitat von Leucrotta Beitrag anzeigen
    Abgesehen davon, dass dieser Text offenbar eine neu definierte Gruppe Menschen ("Neue Antisemiten") ausgrenzen und kriminalisieren möchte...
    In dem Text beschreibt H. Broder alleine wenn er für einen Antisemit hält und wer sich aufgrund dessen, selber schon ausgegrenzt hat.

    Zitat Zitat von Leucrotta Beitrag anzeigen
    und daher glasklar Volksverhetzung darstellt
    Seit wann ist es Volksverhetzung, wenn jemand sachlich beschreibt, wenn er alles für einen Antisemiten hält?

    Zitat Zitat von Leucrotta Beitrag anzeigen
    weist Hendrik Broder hier wieder einmal die geistigen Qualitäten eines Professors für Rassenhygiene auf
    Sich erst über eine angebliche Volksverhetzung aufregen und dann gleich jemanden beleidigen, will irgend wie nicht zusammen passen.

    Zitat Zitat von Leucrotta Beitrag anzeigen
    Auf den Punkt gebracht, die Bandbreite der Menschen die man "Antisemitisch" nennen darf geht nun also von Rechtsextremen bis hin zu Leuten die Israel aufgrund dessen Verstösse gegen humanitäres Recht kritisieren.
    ... was sich wohl kaum aufgrund des vorliegenden Textes ableiten lässt.

    Auf den Punkt gebracht, versuchst du hier alleine eine Person zu diffamieren, welche sachlich einen Begriff versucht zu erfassen. Warum wohl?

    Zitat Zitat von Leucrotta Beitrag anzeigen
    Glauben Sie ernsthaft, dass irgend ein Mensch der sich nicht gerade im Zustand der israelischen Nationalpsychose befindet, geschweige denn ein ordentlicher Richter, einen solchen Blankocheck zum Rufmord an allen Menschen, welche die rassistischen israelischen Militärpropaganda mit Skepsis betrachten ausstellen würde ?
    Ja auch wenn das sicherlich eben allen Antisemiten nicht passen will, dass es eben noch Menschen gibt, welche sie als solche bezeichnen und blosstellen.


 

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