"Leben Ist Mehr" 12. Februar 2010


Nicht ein Mensch ist Gott, dass er lüge, noch der Sohn eines Menschen, dass er bereue.

(4. Mose 23,19)




Vielleicht gehöre ich zu den Menschen, die schnell als leichtgläubig und naiv eingestuft werden. Das mag sicher daher kommen, dass ich es nur selten in meiner Kindheit erlebt habe, dass man mir Lügen auftischte. Selbst konnte ich auch nur schlecht lügen, wie meine Mutter mir oft genug deutlich machte. Angeblich konnte sie mir das immer »an der Nase ansehen«. Als wir dann vor mehr als sechs Jahren nach Zentralasien aufbrachen, hatten wir keine Ahnung, was für eine Art von Menschen hier lebt. Sehr schnell mussten wir feststellen, dass man uns ausnutzte, ja sogar für dumm verkaufte und betrog. Überhaupt haben wir in der ganzen Zeit nur sehr wenige kennengelernt, von denen wir sicher sagen können, dass sie uns die Wahrheit erzählen. Wie kann man so ein Leben in Lüge und Betrug führen und dabei noch so tun, als ob alles in Ordnung sei? Auf diese Frage habe ich bis heute keine Antwort. Doch was uns noch viel mehr erschreckt, ist, dass sie in Selbstbetrug leben. Viele sind Knechte des Alkohols oder der Faulheit, wobei die beiden sich sehr gut ergänzen.

Bei all diesen Gedanken kann ich aber nicht umhin, auch mir den Spiegel vorzuhalten und zu fragen: Lebst du in der Wahrheit? Bist du der Kerl, den du vorgibst zu sein, oder ist das auch nur eine Maske? In so einer Situation wird es mir immer groß, um Gott zu wissen, der mir in aller Deutlichkeit die Wahrheit ins Gesicht sagt: Alle Menschen sind Lügner. Also zählt jeder mit dazu, auch ich. Doch seine Liebe und die Bereitschaft, meinen Schmutz der Lüge wegzunehmen, wenn ich sie ihm offen bekenne, macht es mir leicht, ihn um Vergebung zu bitten. So wird das Herz wieder froh und frei.

Rudolf Kühnlein