Ich trage meinen leeren Krug durch die Wüste.
Allein.
Ich meide das Lachen und Plaudern der anderen Frauen.
Sie lachen und plaudern ja über mich.
Über mein leeres Herz und mein ödes, dürres Leben.
Heiß brennt die Sonne aufs trockne Land.
Ich gehe zum Brunnen.
Meinen Krug werde ich füllen.
Aber wo stille ich den Durst meiner Seele?

Das hat mir gerade noch gefehlt!
Allein wollte ich sein,
habe die Mittagsglut in Kauf genommen,
um den Blicken zu entfliehen,
und muß jetzt doch den Blick eines Menschen ertragen.
Und noch dazu ein Mann.
Und noch dazu ein Jude.
Nicht hinschauen.
Schnell Wasser schöpfen.
Bloß weg hier.
Und jetzt fängt er auch noch ein Gespräch an.
Das hat mir gerade noch gefehlt!
Er bittet mich um etwas.
Ich habe nichts.
Ich gebe nichts.
Ich habe nichts zu geben.
Mein Leben ist arm und öde.
Ich bin ausgepumpt und leer.
Ich habe nichts zu geben.
Aber...es tut gut gebeten zu werden.
Dieser Fremde macht mich neugierig.

Du sagst, Du hättest mir etwas zu geben.
Wenn ich wüsste, wer du bist, ich bäte dich und du gäbest mir...
Wer bist du?
Du wärst ja der Erste, den ich einfach bitten darf.
Er Erste, dem ich offen und geradeheraus sagen darf,
dass ich etwas brauche.
Du wärst der Erste, der mir gibt, wenn ich bitte.
Der Erste, der nicht nur nimmt, nimmt, nimmt,
bis ich leer und ausgesaugt zurückbleibe.
Du sagst, du willst mir etwas geben.
Lebendiges Wasser.
Ja, wenn ich wüsste, wer du bist.
Wer bist du?

Du sagst, ich soll nie mehr Durst haben.
Gibt es das? Nie mehr Durst?
Nicht wie bisher:
Immer wieder Durst, immer mehr Durst,
immer mehr Sehnsucht,
nach mehr, mehr, mehr.
Du sagst:
Eine Quelle in mir wird sprudeln,
unaufhörlich, lebendig, ewig.
Eine Quelle, die ins ewige Leben fließt.
Das will ich!
Ich verstehe es nicht, ich weiß nur eins:
Ich will es!
Gib mir dieses Wasser, Herr!
Ich bitte dich: Stille meinen Durst!

Die Stunde der Wahrheit.
Ich bin erkannt.
Ich bin durchschaut.
Offen liegt vor deinem Blick, was ich vor allen verbergen wollte:
die Leere meiner Seele,
die verzweifelte Sehnsucht,
die Gier nach mehr und immer mehr.
Das Suchen an tausend falschen Orten.
Die Enttäuschung.
Das Ausgenutztwerden von einem nach dem anderen.
Das Jagen nach Liebe,
die Demütigungen, das Missbrauchtwerden.
Das gähnende, schwarze Loch in meiner Seele.
Offen vor deinem Blick.
Und du verstehst.

Ich brauche den Krug nicht mehr!
Ich brauche den Brunnen nicht mehr!
Ich habe gefunden, was den Durst meiner Seele stillt:
den Einen,
der weiß, wer ich bin.

UND DER MICH TROTZDEM LIEBT!


(Elfriede Koch, "Den Durst meiner Seele stillen - Begegnungen mit Frauen aus der Bibel")(