Wenn ihr erlaubt, stelle ich noch eine Chassisdische Geschichte ein, die meines Erachtens sehr gut zum Thema passt.
Ich danke allen Schreibern in diesem Thread für das Respektvolle miteinander, auch wenn die Meinungen vielmals auseinander gingen. Respekt zollte aus jeder Zeile und machte das Lesen angenehm.
Und hier nun die Geschichte:
Der Lärm in der Gaststätte war für die beiden Gesprächspartner eine willkommene Geräuschkulisse.
"Beinah wie im Cheder", sagte Chajim, er war etwa vierzig, hatte einen dunklen Bart und lockige Pejssis, die ihm bis an die Schultern reichten.
"Ja!" Genüsslich schmatzte Mosche die Schaumkrone seines Biers und wischte mit der Linken die Reste aus dem zottigen roten Bart.
Chajim und Mosche waren Lernfreunde an der Jeschiwa Bet Thora in Jeruschalajim. Beide wurden von ihrem Rebbe ins Ausland geschickt, um, wie der Rabbi es ausdrückte, "das Licht der Thora in der Welt zu sammeln".
"Jingeles", sprach Rabbi Menachem zu seinen Talmidim (Schülern) und sagte, "wir haben die Pflicht, die Zeichen der Zeit zu erkennen und dem Ewigen, gelobt sei Sein Heiliger Name, dem Herrn der Welt, gehorsam zu sein. Unser heiliger König hat es in Seiner unendlichen Liebe und Weisheit für richtig befunden, Sein geliebtes Volk aus der Verbannung heraus- und ins gelobte Land hineinzuführen. Mächtige Umwälzungen hat Er zugelassen und große Wunder getan, auf das Sein Wort wieder in der Stadt Davids wie in den früheren Tagen ertönt, gesungen und verkündet wird. Und so wie vormals das Wort und die Schechina mit dem Volk in die Verbannung ging, so will die Schechina mit dem Volk heimkehren, um sich an der Heiligen Stätte wieder niederzulassen. Viele Jahrhunderte war das Volk Israel ein Zeichen für die Nationen, setzte Maßstäbe in Moral und Ethik, erleuchtete die Welt mit der Lehre von Gerechtigkeit und Recht, trug mit Treue das himmlische Joch trotz aller Verfolgung. Nicht wenige Menschen aus den Völkern erkannten die Wahrheit - Gott ist die Wahrheit! - und legten den Götzendienst ab. Ihre Nachkommen haben nun Sehnsucht nach der geistigen Heimat, dem himmlischen Jeruschalajim, wo der Maschiach in Ewigkeit thront und die Welt regiert. Geht hin und helft ihnen den Weg zu finden. Seid Gefäße für deren Öl und lasst die Lampe brennen. Vergesst aber auf allen euren Wegen das Gebot der Bescheidenheit nicht! Es ist das Öl der Menschen, das ihr sammelt und es ist deren Licht, das brennt!"
Chajim und Mosche ließen ihre Erinnerungen schweifen, die Weisung ihres Rabbis war ihnen wieder gegenwärtig und so mündete das Gespräch unausweichlich bei ihrem Auftrag.
"Lieber Freund, ich denke, wir werden viel Zeit benötigen, um unseren Auftrag überhaupt erst anfangen erfüllen zu können" Chajim blickte sich traurig um.
"Zeit ist nicht wichtig", entgegnete Mosche, "wir dürfen nicht den bösen Trieb unsere Handlungen bestimmen lassen. Lass uns folgender Massen beginnen: Einer von uns findet Arbeit. Mit dem Geld können wir eine größere Wohnung mieten und dort einen Cheder einrichten. Wir werden jeden Sonntag, wie es in diesem Land üblich ist, in ihre Kirchen und Versammlungsorte gehen und mit den Landsleuten zusammenkommen."
"Mit den Götzendienern zusammen beten? Ist das dein ernst?!" Chajim war sichtlich erschrocken.
"Richte sie nicht, sie wissen nicht was sie tun. In Wahrheit ist es so, wie unser Rabbi Menachem es uns lehrt: Ihre Herzen loben den Ewigen, ihre Gedanken sind auf der Suche, über ihre Münder herrschen Fremde, aber ihre Hände wollen Gerechtigkeit tun. Erinnere dich: Ihr Kopf und ihre Hände sind gewaschen, es sind die Füße die gewaschen werden müssen. Wenn wir mit der Hilfe des Allmächtigen es schaffen könnten, ihre Gedanken auf das Wesentliche zu konzentrieren, ihre Münder lehren die heiligen Gedanken auszusprechen und ihre Hände zur Gerechtigkeit leiten, so werden wir unseren Auftrag erfüllen. Unser Schutz auf allen unseren Wegen ist die Liebe unseres barmherzigen Vaters, der alles heiligt durch Seine Liebe und Gnade."
Das Gesicht Chajims hellte sich auf. Er nahm die Rechte des Freundes in beide Hände, führte sie an seine Stirn und sprach in den Himmel: "Gelobt seist Du Ewiger, mein Gott und Gott meiner Väter, mein himmlischer Vater, der Du uns geheiligt hast durch Deine Gebote und Satzungen und uns in Liebe durch Deinen Gesalbten erwähltest, Dir in Wahrheit und Geist zu dienen. Ich danke Dir für den herrlichen Geist der Weisheit und des Verstandes, den Du Deinem Sohn und meinem Freund Mosche ben Menachem geschenkt hattest. Mögen alle seine Anfänge Wohlgefallen vor Deinem Angesicht finden zu Deiner Ehre. Amen." Nach einer Weile fügte Chajim hinzu: "Bitte lasse mich die Arbeit verrichten, damit der Erlös für den heiligen Zweck, wie du gesagt hast, eingesetzt werde."
Die Freunde verbrachten den Rest der Stunde im stillen Einverständnis und der Zuversicht, dass sie den Auftrag ihres geliebten Rabbis erfüllen werden.
Baruch ben Mordechai
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