Zusammenfassende Kommentare aus Bereshit von Samson Raphael Hirsch

Ich versuche mal wieder, einige Gedanken weiter zu geben. Da sie vielleicht etwas fremd oder zumindest anderst sein können, muss man/frau die Texte etwas studieren, oder einfach stehen lassen. Sie gehen stark von der hebräsichen Schrift und Deutung aus.


Vers 1: Der Mensch aber hatte seine Frau Chawa erkannt. Sie empfing und gebar den Kajin; sie sprach nämlich: Ich habe einen Mann mit Gott erworben. 2. Sie gebar ferner seinen Bruder. Den Hewel. Hewel ward ein Schafhirte, Kajin war ein Ackerbauer.

קָנִיתִי (kaniti), erwerben. Der ursprüngliche Begriff des Eigentums beruht auf Produktion. So ist das erste Kapital des Menschen seine Kraft. קנה bedeutet deshalb nicht in erster Linie eine Erwerb mit Geld, sondern durch Kraft. So ist Gott der Eigner des Himmels und der Erde, weil er sie geschaffen. „Mit Gott, unter Gottes Beistand und Mitwirken habe ich ein männliches Wesen mit Darbringung meiner Kraft geboren.“
Das erste Gefühl der ersten Mutter war somit ein gesteigertes Selbstgefühl. Spricht nicht in diesem Gefühl schon eine Trübung des reinen Mutterbewusstseins aus? Denkt eine Mutter nicht zuerst an Gott und an die ihr durch dieses Gottesgeschenk (Freude) gestellte Pflicht und Aufgabe, als an ihren Verdienst? Eine Trübung der Gesinnung und ein Hervorstacheln des Egoismus, die sehr leicht auch den Charakter des Sohnes seine Richtung gegeben haben dürfte, dessen Name noch mehr dieses Selbstwertgefühl trägt.

קַיִן Kajin, von קון, dem Lanzenschaft, der die Spitze trägt .


יָדַע erkannte. Die Zeitform deutet auf eine früheren Zeitmoment, so kann Kajin noch vor der Entlassung aus dem Paradies geboren worden sein, und ihm Hochgefühl ihres Glückes nannte sie ihn Kajin, den Selbsterrungenen, Selbsterworbenen. Als aber der zweite geboren war, Hewel, so starrten die Eltern schon mit einer Fülle von Sorgen in die Welt.

הֶבֶל Chavas (Eva) Herz war nicht froh, als sie ihren zweiten Sohn gebar, den Hewel (Abel). So nennt sie ihn Vergänglichkeit.

רֹעֵה ro’eh, Hirte, die Wurzel bedeutet auch weiden, Gedanke, Nächster. Weiden ist umhergehen und Futter für dasjenige suchen, was geeignet ist uns zu ergänzen. Von und in uns aufgenommen zu werden. Daher auch רַעְיוֹןץ: geistiges Weiden, geistige Nahrung suchen, d.h. dasjenige Suchen, was wir als wahr unserem Geiste einverleiben können. Ferner רעה: Umgang mit jemandem pflegen, sein soziales Genüge an ihm finden.רֵעַ unser Nächster, insofern er an uns und wir an ihm Genüge finden.

Obgleich Kajin der Erstgeborene war, wird hier zuerst von Hewel gesprochen. Die natürliche Beschäftig, welche wir erwarten sollten, wäre Ackerbau gewesen. Der Mensch wurde ja eigentlich genau darauf hingewiesen, um sich die notwendige Nahrung zu beschaffen. Hewel jedoch ging einer anderen Beschäftigung nach, deshalb dürfte dies hier vorgehoben worden sein.
Und genau in diesem schroffen Gegensatz dürfte auch der Gegensatz an Charakter, Sinnesart und Geistesrichtung angedeutet liegen. Der Gegensatz zwischen Ackerbau und Hirtenwelt. Der Ackerbau ruft zuerst alle Leibeskräfte des Menschen zur Tätigkeit. „Im Schweisse deines Angesichtes..“ geht ganz besonders der Ackerbau in Erfüllung. Er geht zuletzt ganz in dem Beruf der Fristung des leiblichen Daseins auf. Der Acker wird mit „Schweiss“ gedüngt, bekommt Wert, wird Teil seiner selbst, fesselt ihn, er wird Sesshaft und das Selbstwertgefühl und Eigendünkel wird gefunden. Es entsteht Entwicklung. Kultur, ein Nebeneinander, Gesellschaft, dagegen aber wird der Ackerbauer immer mehr zur Scholle herabgezogen, nicht er regiert die Scholle, die Scholle dient ihm nicht, sondern die Scholle regiert ihn. Er beugt den Nacken unter das Bestreben nach Eigentum. Es kommt zur Verehrung der Naturgewalten, von denen das Gedeihen abhängig ist.
Das Hirtenleben beschäftigt sich mit Lebendem. Dies gebraucht Wartung, Pflege, Gefühle, fürsorgende Teilnahme. Das Eigentum wird nicht überschatzt, da es sich „wandelt“. Die Beschäftigung nimmt nicht so viel Kraft in Anspruch, nicht so viel „Geist“ im Dienst der Arbeit (Zeitaufwand, Hektik), und gibt dem Geiste Raum für den Aufschwung, sich mit Himmlischen, Göttlichen und Menschlichen zu beschäftigen. So waren die Väter Hirten, und selbst David wurde von der Weide geholt.
Dem gegenüber finden wir die Feindschaft Ägyptens gegen Hirten und Hirtenvölker. Die Folgen des Ackerbaus war in Ägypten in höchster Entfaltung vorhanden. Der Mensch an sich in seiner Würde und freien Selbstbestimmung war verloren. Als Knecht wird man geboren.

Ja, auch in Israel gab es „Ackerbau“, wozu der Mensch auch ursprünglich bestimmt wurde. In der Torah wird dem Fehlverhalten aber vorgebeugt mit Schabbattagen, Schabbatjahren, dass nicht des Menschen, sondern Gottes der Boden sei, und die Tatkraft des Menschen. Verschiede Ackerbaugesetzte ermahnen an Brüderlichkeit, Nächstenliebe, Menschlichkeit.