@ absalom
Ich denke wir müssen hier aufpassen das wir nicht aneinander vorbeireden, obwohl wir zwar im Grunde das Gleiche meinen, es aber mit verschiedenen Vorstellungen verbinden.

Wenn „primitive Naturvölker“ ein natürliches Bewusstsein für die schöpferische Wirklichkeit Gottes in der Natur erkennen können, uns zivilisierten Menschen dies aber (zumindest teils) verloren gegangen ist, dann liegt doch der Schluss nahe, dass dieser Verlust in der weniger unmittelbaren Verbundenheit des zivilisierten Menschens mit der Natur zu suchen ist, was wiederum einen Hinweis darauf gibt, dass der „primitive Naturmensch“ seine Verbundenheit mit Gott eben aus seiner unmittelbareren Verbundenheit mit der Natur heraus entwickelt hat und erlebt.

Für ihn ist sie wahrhaft Mutter Erde, weil er ein viel stärkeres Bewusstsein hat wie er von ihr abhängt, ein Teil vom Ganzen ist. Er kann ja nicht einfach in den Supermarkt gehen, wenn er Hunger hat, oder ins Krankenhaus, wenn es ihm nicht gut geht. Sein Leben ist zunächst sehr viel bedrohter, aber dadurch gleichzeitig auch "lebendiger", wenn Du verstehst was ich meine...
Eine übernatürliche Genese der „Idee Gottes“ ist ihm einfach nicht nötig, weil das ihn Umgebende, in das er sich eingebunden weiß und von dem er im höchsten Maße abhängt, schon göttlich ist.

Wir zivilisierten, spätgeborenen Menschen, kennen dies übrigens auch noch. Das uns Bestimmende, Umgebende, das, wovon wir abhängen und was von uns dementsprechend auch nicht selten angebetet wird, ist das Geld, der schnöde Mammon. Du brauchst es im Supermarkt genauso wie im Krankenhaus. Wir bauen Mammon Kathedralen (Banken, Sparkassen...), bringen ihm Opfer da (Kredite, Ratenkauf...), feiern Gottesdienste (Börse, Politik...) und sein Geist weht durch alle Gassen und in alle Häuser.
Und er mag unser Leben (oberflächlich betrachtet) auch tatsächlich sicherer machen, aber eben nicht lebendiger.

Und so entsteht ein Paradoxon. Der Mensch auf einer „niederen“, früheren, sehr viel stärker mit der Natur verbundenen, aber auch abhängigeren Ebene des Menschseins strebt nach Sicherheit, Berechenbarkeit, Schutz und Planbarkeit seines Lebens (ich hoffe Du verstehst was ich meine) und zahlt den Preis für die (und das nur scheinbare) Erfüllung seines Strebens, auf einer „höheren“, späten und stärker von der Natur „unabhängigen“ Ebene seines Menschseins, mit seiner "Lebendigkeit".

Ich weiß nicht ob ich mich gut genug ausgedrückt habe, um klar zu machen, was ich mit diesem Paradox meine, aber es geht mir letztlich darum festzustellen, dass es „zwei verschiedene Bereiche" menschlicher Bedürftigkeit, menschlichen Seins gibt.

Da ist „auf der einen Seite“ die Welt, mit ihren weltlichen Strukturen (Raum, Zeit, Materie), in die ich hineingeboren wurde und in der ich mich orientieren und meine essentiellen Bedürfnisse befriedigen muss.
Und „auf der anderen Seite“ der Bereich Gottes in der „ich“ raum-, zeit-, und materielos immer schon orientiert und befriedigt bin.

Innerhalb der weltlichen Strukturen haben wir Angst und sind voller Sorge. Siddharta und viele andere würden sagen: Alles Leben ist Leiden.
Jesus drückte dies durch seine Passion ebenfalls, vermittelt aus.
Trotzdem streben viele Menschen heute nach Selbstverwirklichung in der Welt, nach Verwirklichung ihres Seins in weltlichen Strukturen, was letztlich aber dem hoffnungslosen Versuch nach Stillung des in weltlichen Strukturen Unstillbaren entspricht und immer und ausnahmslos mit dem Tod, dem Vergehen endet.
Deshalb „merken" die Menschen zu allen Zeiten, dass etwas nicht stimmt, dass sie in einem Paradox gefangen sind, dass sie hier auf der Welt nicht Zuhause sind.

Wie aber sollte sich der Mensch seinem Herumirren in der Fremde bewusst werden können, wenn er nichts von einem Zuhause wüsste? Die Bibel und alle Heiligen Schriften vergrößern mein Sehnen und Hoffen nach dem Daheim ja noch zusätzlich und deshalb betrachten sie auch nicht Wenige als eine Art Navigationsgerät um nach Hause zu finden. Die Bibelverse fungieren gleichsam der GPS-Daten, die mich nach Hause führen sollen, aber der Satellit, der die Daten sendet, ist nicht zwischen den Buchdeckeln zu finden, nicht außerhalb von mir, sondern in mir. Und ich brauche auch letztlich nicht erst noch nach Hause zu kommen, denn substantiell bin ich es bereits und das immer und jederzeit, im Innersten meiner Seele. Das dies zu Bewusstsein kommt, daran ist meiner Meinung nach alles gelegen.

Bei Interesse und zur Vertiefung des von mir Gemeintem, empfehle ich die Predigt von Meister Eckhart
„Beati pauperes spiritu, quoniam ipsorum est regnum caelorum“ und dazu noch die Auslegung von Kurt Flasch...
http://www.meister-eckhart-gesellschaft.de/texte.htm

LG
Provisorium