Schwer schleicht er die staubige Straße entlang.
Sein Mund ist ausgetrocknet, denn nur an schattigen Waldstücken kann er von Zeit zu Zeit seinen Durst an plätschernden Bächen stillen.
Durst...
Die Sonne brennt heiß auf seinen Kopf.
Doch innerlich ist der Durst noch viel stärker.
Er denkt zurück, als er vor einiger Zeit den Weg in die andere Richtung gegangen war...

Damals, ja, da hatte er keinen Durst, wollte nichts mehr von seinem Vater wissen.
Mutig und stark war er in sein neues Leben geschritten, als würde nun vor ihm das pralle Leben ohne Verbote, Regeln und Grenzen liegen....


Der Mann bleibt einen Moment lang stehen.
Oh, wie trocken die Zunge am Gaumen klebt. Ein einzelner Baum wirft einen schmalen Schatten über den Feldweg. Wie gut die kleine Frucht im Mund tut, Frische bringt, während sie frisch gepflückt, den Durst lindert.
Sich etwas zu kaufen, dafür hat er heute kein Geld mehr...

Mit sehr viel Geld war er damals ausgezogen.
Das Erbe des Vaters war genug, um endlich frei und ungebunden ohne den Vater zu leben.
Andere Menschen würden ihn mögen, würden ihm Freund sein und er würde ihnen Feste geben.

Not- so dachte er- würde es von da an nicht mehr geben, denn wer Geld hat, der hat auch einen Namen. Wer bekannt ist, der findet schnell Freunde. Sicher, so glaubte er, würden genug Menschen ihn umgeben, die ihn mögen...
Klar wusste er, dass diese Art zu leben ganz anders war als das Leben bei seinem Vater.
Doch er wollte sich und allen anderen beweisen, dass er ohne den Vater viel besser leben konnte.
Die Feste in seinem eigenen Leben wurden größer, die Freunde mehr...


Allein geht er nun, Jahre später, weiter, blickt nicht mehr zurück.
Schwer atmet er. Allein, einsam... selbst die Vögel am Himmel über seinem verbrannten Kopf fliegen in Schwärmen vorüber...

Als das Geld ausging, kamen die Freunde nicht mehr.
Plötzlich interessierte sich keiner mehr für ihn.
Dabei hätte er gerade in dieser Zeit nach jemandem gesucht, der ihm zuhört, ihm hilft...
Die fröhliche, nette Fassade fiel nicht nur bei diesen Freunden. Nein, auch er selbst erkannte damals, dass er Sehnsucht hatte- nach Freundschaft, Liebe, ehrlichem Dasein, aber plötzlich war nichts mehr da...


Mit zittrigen Händen wischt er sich den Schweiß von der Stirn.
Freunde? Liebe? Menschen, die ihn umgaben, mochten ihn aber nur, wenn und solange er etwas hatte, oder etwas besonderes war...

Als er Schweine hütete, weil er keinen anderen Platz fand, um ein wenig Geld zu verdienen, war es für alle sichtbar: er war pleite.
Das Leben ohne Grenzen hatte alles gekostet.
Alles was er nun versuchte, um sein Ansehen zu retten, war wie ein sinnloses Unterfangen.
Ab da ging es nicht mehr um das, was die Menschen dachten über ihn.
Jetzt ging es nur noch um das Überleben. Der Hunger trieb ihn an den Futternapf seiner Schweineherde...


Hunger, ja, seit 3 Tagen hat er dieses flaue Gefühl im Magen. Außer dem, was er am Weg findet, hat er nichts.
Die Schritte werden in der Mittagshitze noch schwerer, obwohl er kein Gepäck mehr mit sich trägt.

Durst, Armut, Hunger, ein zerschundener Körper, verbrannte Haut, die schutzlos der Sonne ausgesetzt ist...
Doch der Weg zurück bringt ihm auch sehr viel Zeit, um nach all dem, allein über sein Leben, sein Denken und seine Sehnsüchte nach zu denken.

Wie oft hat er sich gefragt, wer er eigentlich ist: einer der Menschen, die nach dem Äußerlichen beurteilen, oder jemand, der seine Freiheiten braucht, um glücklich zu sein?
Ist er ein Mensch, der seine eigenen Gefühle eigentlich noch kennt, oder hat er längst vergessen, wie sich ehrliche Liebe anfühlt?
Wo war er denn nun noch zu Hause? Nichts ist ihm nun geblieben, kein einziger Mensch ist bei ihm geblieben. ...

Alles hatte er dafür eingesetzt, um fröhlich, gut gelaunt zu scheinen.
Alles hatte er auf den Festen über Bord geworfen, von dem, was er beim Vater an Regeln gelernt hatte.
Alles hatte er verloren, denn er war nicht mehr er. Um Freunden zu gefallen, angesehen und nicht einsam zu sein hatte er sich selbst verloren und nicht nur das Geld.
Doch als die letzte Feier zu Ende gegangen war, als für andere sichtbar wurde, dass er Hilfe brauchte, da war keine Hilfe mehr von Menschen zu erwarten....


Gebeugt geht er Schritt für Schritt.
Den Weg sieht er schon gar nicht mehr vor seinen zerrissenen Sandalen, denn die Tränen schießen aus ihm heraus.
Wie lange wird er noch unterwegs sein?
Die letzten Nächte schlief er unter freiem Himmel. Keine Decken, zum wärmen, kein Schutz vor den Tieren, die ihn anfallen könnten.
Nein, hier draußen gibt es keinen Schutz, keine Geborgenheit, keine Wärme.
Die Hände auf das Gesicht gelegt, die Tränen vermischen sich zu einem schmierigen Film auf der Haut.
Ob der Vater ihn so erkennen wird?
Aber es wird wohl unwahrscheinlich sein, dass er ihn als Hirte für ihn arbeiten lässt...
Wenn er aber um Verzeihung bittet... vielleicht würde er dort arbeiten können... beim Vater war es allen Arbeitern gut gegangen: sie bekamen Essen und Trinken, konnte nachts geschützt im Hinterhaus schlafen...

Das Erbe, das Kindsein ist verloren durch seine eigene, verbohrte Lebensart.
Keine Rechte, aber vielleicht würde der Vater aus Gnade und gegen Arbeit ihm Schutz vor Hunger, Durst, Kälte und Gefahr bieten...
Da vorn- ist es nicht das Haus des Vater, das er damals so schrecklich stolz verlassen hatte?
Er ist sich sicher, das es dort friedlich zugeht, weil der Vater alle gerecht und liebevoll behandelt.
Oh wie sehr hat er sich nach diesem Anblick gesehnt.
Doch, und plötzlich durchfährt ihn ein Schauer, was ist, wenn der Vater ihn verstoßen wird?
Wenn er ihm nicht verzeiht, dann wird er ihn nicht für sich arbeiten lassen und dann...?
Er nimmt alle restlichen Kräfte zusammen, atmet tief durch, wischt sich die Tränen am Ärmel ab und flüstert leise mit jedem Schritt, den er auf sein Vaterhaus zugeht, den Satz, den er seinem Vater sagen will, sobald er ihm begegnen wird:
„Vater, vergib mir, ich bin es nicht wert, dein Kind zu sein, doch wenn du mir vergeben kannst, so lass mich für dich arbeiten.“
Immer und immer wieder...
Leise ganz leise und mit aller Kraft, die er noch hat...
Den Blick hat er dabei voller Scham auf den Boden gerichtet.

Plötzlich sieht er im Augenwinkel eine helle Gestalt auf sich zu laufen.
Er hebt den Blick, schaut wieder zu Boden- es ist der Vater.
Und dann setzt er mit seiner kratzigen, vertrockneten Stimme an: „Vater, vergib mir, ich bin es nicht wert...“

Weiter kommt er nicht, denn schon drückt ihn der kräftige Arm seines Vaters an sich.

Umarmt, nicht verstoßen;
angenommen, nicht schutzlos umherirrend...
Tränen erzählen in diesem Moment mehr als tausend Worte über die Vergangenheit des Sohnes, den Weg zurück; aber auch die Sehnsucht des Vaters und seine Hoffnung, seine Freude, dass sein Kind wieder in seinen Armen liegt, ganz gleich was war...