Meine Antwort

Lehrt die Bibel eine doppelte Prädestination?

Die Bibel stellt uns nicht einen Gott vor, der in vorweltlicher Ewigkeit beschließt, Menschen
zu schaffen, und dabei von vornherein festlegt, ob der jeweilige Mensch, den zu schaffen er
sich vorgenommen hat, gerettet wird oder verlorengeht. Ein solcher Gott wäre auch wieder
ein spekulatives Konstrukt menschlicher Logik und ein von Willkür geleitetes Monster. Wie
ich oben sagte, hat Gott im Blick auf die Erwählung den Menschen nach dem Sündenfall vor
Augen. Die gefallenen Menschen muß er nicht eigens zur Verdammnis prädestinieren, denn
sie sind ja schon verloren kraft des Gesetzes, das Gott Adam in 1Mose 2,16-17 verkündet hat.
Wie Gott das in der vorweltlichen Ewigkeit alles vor Augen hat, welche Perspektiven er teilt,
das können wir nicht wissen. Wir können nur in Anlehnung an die Schrift und aus unserer
menschlichen Perspektive reden, wohl wissend, daß uns dabei unsere Logik schnell zu Fehlschlüssen verführt. Insofern ist die Prädestination eine einfache, eben eine solche zum Heil.
Doch die Schrift macht Aussagen, die über eine einfache Prädestination hinausgehen:

„Denn die Schrift sagt zum Pharao (2. Mose 9,16): »Eben dazu habe ich dich erweckt, damit
ich an dir meine Macht erweise und damit mein Name auf der ganzen Erde verkündigt werde.« So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will“ (Röm 9,17-18). Und:
„Für euch nun, die ihr glaubt, ist er kostbar; für die Ungläubigen aber ist »der Stein, den die
Bauleute verworfen haben und der zum Eckstein geworden ist, ein Stein des Anstoßes und ein
Fels des Ärgernisses« (Psalm 118,22; Jesaja 8,14); sie stoßen sich an ihm, weil sie nicht an
das Wort glauben, wozu sie auch bestimmt sind“ (1Petr 2,7-8).

Aus diesen Aussagen wird klar, daß auch der Ungläubige unter einer spezifischen Bestimmung steht, an Christus Anstoß zu nehmen und Gefäß zu einem unehrenhaften Gebrauch zu
sein. Wann Gott diese Bestimmung verfügt hat, sagt die Schrift nicht. Es läßt sich aber mit
Blick auf das Wort Gottes an den Pharao („… eben dazu habe ich dich erweckt“) sagen, daß
Gott dann, wenn er einen Menschen erschafft und ihn auf die Bühne der Geschichte stellt,
verfügt, ob der betreffende ein Gefäß zu ehrenhaftem oder unehrenhaftem Gebrauch sein
wird. Dabei geht es nicht nur um die Rolle, die der betreffende in diesem Leben spielt, sondern es geht um Verlorenheit und Errettung (Röm 9,22-23). Wir müssen also erkennen, daß es
eine Bestimmung zur Verlorenheit gibt, die aber nicht in gleicher Weise wie die Erwählung
zum Heil von Gott verfügt ist.


Jesus sagt in Matthäus 11,27-28: „Alles ist mir übergeben von meinem Vater; und niemand
kennt den Sohn als nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es
der Sohn offenbaren will. Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will
euch erquicken.“


In diesen beiden Versen, die Christus offensichtlich in engem zeitlichem Zusammenhang gesagt hat, steht die Problematik, die uns hier beschäftigen soll: einerseits die Souveränität Gottes gegenüber dem Menschen, wenn es darum geht, daß dieser zu Jesus kommt und gerettet
wird, andererseits die freie und bedingungslose Einladung an alle, die mühselig und beladen
sind, zu Jesus zu kommen. An wem liegt es, wenn ein Mensch zu Jesus kommt und Christ
wird? Diese Frage wird bis in die Gegenwart hinein selbst von bibeltreuen Christen unterschiedlich beantwortet. Nicht selten werden Diskussionen über dieses Thema sehr emotional
geführt. Das liegt daran, daß die Antwort auf diese Frage einen tiefen bewußtseinsbindenden
Charakter hat und genau das betrifft, worauf ein Mensch am meisten vertraut, wenn es um
sein Verhältnis zu Gott geht. Wer der Meinung ist, daß es an seinem Entschluß liege, daß er
an Christus glaube, der meint, ihm würde der Boden unter den Füßen weggezogen, wenn er
hört, daß es nicht an ihm liegt und daß es Gottes Gnadenwahl ist, die ihn zu Christus kommen
läßt.