
Zitat von
Effi
Da würde mich interessieren, weshalb Menschen nach in sich geschlossenen Weltbildern, die kaum Fragen offen lassen streben?
Ich meine mit offenen Fragen gut umgehen zu können. Finde es sogar spannend, denn sie fordern mich zu Auseinandersetzungen heraus. Ich mag es neugierig nach möglichen Antworten zu forschen und sehe die Erfahrung, dass es für manche Dinge oder Gegebenheiten keine Antworten gibt dennoch als Erkenntnisgewinn.
In einer immer komplexeren und unübersichtlicheren Welt, die sich zwar lokal erleben lässt, aber zunehmend global verstanden werden muss und in der man von der Wiege bis zur Bahre zur Zielgruppe geworden ist, können geschlossene Weltbilder das Leben einfacher und bequemer machen und Übersicht verschaffen, aus der heraus man sich dann leichter orientieren kann.
Natürlich zahlt man dann aber nicht selten den Preis dafür in Form einer eher eingeschränkten und starren Perspektive, aber das lässt sich denke ich immer dann ganz gut verschmerzen, wenn man z.B. in eine Gemeinschaft eingebunden ist, die sich in ihrer Gesamtheit diesem geschlossenen Weltbild verschrieben hat. Religiöse Gruppen, wie z.B. Spätregen, aber auch gemäßigtere Gemeinschaften können dann eine eigene kleine Welt in der Welt bilden und aus dem immer gleichen Blickwinkel heraus auf die große Welt schauen und über sie nachdenken - das schafft Verbundenheit.
Das Beispiel Spätregen zeigt aber auch auf, dass diese kleine Welt nicht unbedingt heiler sein muss als die große und ich glaube auch, dass kleine Welten die Ketten besonders straff anlegen und es sehr viel schwieriger ist, sich von ihnen zu lösen. In der großen Welt weiß ich zwar auch, dass z.B. mein deutscher Wohlstand ein Stückweit auf dem Elend anderer Menschen fußt, aber dazu lässt sich leichter Distanz wahren, als wenn ich weiß, dass z.B. ein Spätregenbruder/schwester leidet.
Geschlossene Weltbilder haben also Vor- und Nachteile, aber sie sind letztlich immer nur innerhalb eines sehr eingeschränkten Horizontes wirklich geschlossen und man muss seine Augen und seinen Verstand schon vor sehr vielen Dingen verschließen, um sie geschlossen halten zu können. Deshalb sehe ich aus der menschlichen Perspektive heraus keine Alternative in ihnen, auch wenn ich die Sehnsucht danach durchaus nachvollziehen kann.
Man sucht ganz gerne mal nach Schema F, oder dem Rezept für ein gelungenes Leben (auch von der Arbeit her kenne ich das. Aber jeder Mensch muss anders, individuell, ganzheitlich und bedürfnisorientiert gepflegt werden. Es gibt nicht die Pflege, oder den Dementen...) Aber ich bin davon überzeugt, dass es das nicht gibt und so wäre mein einziges Schema F, dass es Schema F nicht geben kann und insofern wäre dann auch mein Weltbild geschlossen ;-)

Zitat von
Effi
Aber eben nur dann, wenn das eigene Welt- und Gottesbild absolutgesetzt wird. Ist also wieder eine Haltungssache.
Eine Haltungssache die woraus geboren wird? Ich meine wir Menschen haben ja vermöge unserer Erkenntnisfähigkeit durchaus die Möglichkeit zu erkennen, aus welch eingeschränktem Blickwinkel heraus wir nur argumentieren können. Wenn man weiß, dass man über seine Subjektivität hinaus nicht wirklich zur Objektivität kommen kann, dann sollte man meiner Meinung nach schon einsehen, dass das Absolute allein Gottes ist und wir uns diesem zwar annähern, es aber nicht erreichen, nicht ergreifen können. Schiller hat das in seinem Gedicht "Menschliches Wissen" mal so ausgedrückt:
Weil du liesest in ihr, was du selber in sie geschrieben,
Weil du in Gruppen fürs Aug ihre Erscheinungen reihst,
Deine Schnüre gezogen auf ihrem unendlichen Felde,
Wähnst du, es fasse dein Geist ahnend die große Natur.
So beschreibt mit Figuren der Astronome den Himmel,
Dass in dem ewigen Raum leichter sich finde der Blick,
Knüpft entlegene Sonnen, durch Siriusfernen geschieden,
Aneinander im Schwan und in den Hörnern des Stiers.
Aber versteht er darum der Sphären mystische Tänze,
Weil ihm das Sternengewölb sein Planiglobium zeigt?
Der Sphären mystische Tänze laden uns alle zum großen Ball. Ich will mich gerne in meinen besten Anzug werfen und vergnügt das Tanzbein schwingen, aber wirklich verstehen kann ich niemals, was da mit mir geschieht, wenn ich mich im Kreise drehe. Ich will es aber dankbar annehmen, genießen und mir in Gemeinschaft mit anderen einen fröhlichen Tag machen. Und wenn ich dann irgendwann glücklich, aber müde und erschöpft einschlafen werde, werde ich vielleicht Teil dieser Sphären werden...

Zitat von
Effi
Und neugierig... Obwohl ich zunächst dachte, dass ich hier, also in dieses Forum, nicht so recht her passe, da ich ein sehr lebenspraktischer Typ bin, zu wenig Bibel belesen, zu wenig theologisch gebildet, lese ich hier inzwischen mit Interesse und Neugier und beteilige mich sogar gerne.
Gnadenkinder ist, wie ich finde, ein ganz tolles Forum, mit sehr lebens- und nicht allein glaubensweisen Usern. Da sind ausgeprägte Bibelkenntnisse gar nicht so unbedingt nötig. Z.B. die Rabbinischen Weisheiten, die Alef häufig postet, sind voller Lebensweisheit und auch wenn sie irgendwo und irgendwie auch immer etwas mit der Bibel zu tun haben mögen, sind sie zuvorderst doch immer sehr lebenspraktisch. Also ich finde Du passt hier super rein und bleibst hoffentlich noch bisschen!

Zitat von
Effi
Das ist die Frage, ob Transzendenz und Spirtualität im Menschen angelegt ist oder ob es nicht angelernt wird.
Das erinnert mich irgendwie an die Frage, ob die genetische Disposition, oder die Umweltfaktoren den größeren Einfluss auf die Entwicklung eines Menschen haben? Ich glaube beides kann sich nur Hand in Hand vollziehen und vielleicht mag mal mehr, mal weniger das eine oder das andere überwiegen, aber im Lebensvollzug halten sie eben Händchen.
Ich kann mich noch recht gut daran erinnern, dass ich als kleines Kind plötzlich die Frage nicht mehr aus dem Kopf bekam, wie man sich eigentlich den Tod vorstellen soll. Ich habe dann verzweifelt versucht das Nichts zu denken und als mir das nicht wirklich gelang, habe ich mich damit getröstet, dass ich ja schon einmal nichts war, nämlich vor meiner Geburt. Und da ich mich nicht daran erinnern konnte, dass das Nichts etwas schlimmes gewesen sei, war ich schließlich beruhigt.
Ich denke z.B. angesichts des Todes kommt der Mensch automatisch ins philosophieren und stellt Fragen über sich hinaus. Ob das nun aber konkret angeboren ist, oder sich erst im Laufe des Lebens entwickelt, spielt für mich insofern keine Rolle, da ja nun einmal das Leben angeboren ist... Wenn Du verstehst was ich meine ;-)

Zitat von
Effi
Eben. Sehe ich ähnlich. Mir ist dabei die Art und Weise des Aufwachsens sehr wichtig. Oft werden Absolutheitsansprüche und Gegnerschaft von klein auf gelehrt und gelernt. Daraus entstehen dann elitäre und absolutgesetzte Haltungen, welche die grundlegend übereinstimmenden Bedürfnisse leider oft vergessen lassen oder in den Hintergrund verdrängen.
Es wird möglicherweise zu wenig reflektiert und kritisch hinterfragt, dabei wäre es so wertvoll, würden Erwachsene den Kindern das Reflektieren einfach praktisch vorleben. Da hätten alle was davon :-).
Erwachsene, respektive Eltern stehen heutzutage unter einem ganz enormen Druck. An allen Fronten müssen sie ihren Mann, ihre Frau stehen. Sie sollen ein liebe- und verständnisvoller Partner sein, sich zurücknehmen und das Beste und Förderlichste für ihre Kinder tun und nicht selten müssen sie dann ja auch noch den immer härter werdenden Anforderungen ihres Berufes genügen. Als Teil einer Leistungsgesellschaft definieren sie sich dann häufig auch über die Leistung, die sie erbringen (das kann allerdings völlig unterschiedlich bewertet werden) und nicht selten werden dann schon die Kinder in diesen Leistungswahn mit hinein gezogen.
Ich halte das für eine sehr besorgniserregende Entwicklung, weil ich glaube, dass sich das Wesen des Menschen in der Leistungserbringung nur erschöpft und sich letztlich aber nur im Sein vollenden lässt. Natürlich muss Leistung erbracht werden und man darf auch mit Recht Stolz auf seine Leistungen sein, aber immer "höher, weiter, schneller" kennt ja keine Grenzen, bis es an die natürliche Grenze der Leistungsfähigkeit geführt wird. Und das geschieht früher oder später, immer und ausnahmslos. Ich persönlich halte es deshalb auch für ganz ganz wichtig, dass man seinen Kindern ihr Reflexionsvermögen deutlich macht und auch den Wert der Empathie betont. Es ist eine so wertvolle Gabe, dass wir aus den unterschiedlichsten Perspektiven heraus auf eine Sache schauen können und eindenkend und einfühlend auch Abstand von unserer eigentlichen Position nehmen können. Und vielleicht finden sie dann auch irgendwann einmal selbst heraus, dass Leistungserbringung nur ein Teil des Lebens ist, aber nicht das Leben selbst...
LG
Provisorium
Lesezeichen