Sie werden zugeben, lieber Leser, das ist wirklicher, echter Telefonterror. Zu beinahe jeder beliebigen Tages- und Nachtzeit, im größten Streß, wenn man unter der Badewanne steht oder in der Dusche sitzt, beim Entsorgen der körpereigenen Stoffwechselendprodukte, beim spannendsten TV-Film oder Buch, beim Ausüben der Hausmusik und bei anderen, entspannenden, spannenden oder einfach notwendigen Dingen, die man tut oder tun möchte - das Telefon klingelt. Es klingelt mit dem Anspruch höchster Dringlichkeit. Als ich Soldat war, und das war ich immerhin unendlich lange sechs Jahre, leistete ich den Kommandos und Befehlen meiner Vorgesetzten längst nicht immer so prompt Gehorsam, wie heute dem Telefon. (Was mitunter allerdings schon mal mit einem der berühmten „Anpfiffe" gewürdigt wurde.)
Klingelt es anfangs mitunter noch geduldig, wird das Klingeln alsbald drängender und drängender bis hin zur unbotmäßigen Unverschämtheit. Schwer, sich da freundlich zu melden. Meistens hat man sowieso den für den jeweiligen Anrufterroristen angebrachten Tonfall und Jargon gerade nicht drauf. Da kann es schon passieren, daß auf ein mürrisch ausgestoßenes „Ja" ein frustriertes Flöten auf der anderen Seite ertönt: „Na, das hört sich aber ärgerlich an. Habt ihr 'nen Ehekrach oder sowas?"
Tante Klothilde war gerade dran. Tantchen ist sehr sensibel. Oder meine Frau ist unterwegs und hat angekündigt, sie wolle wegen der und der Sache kurz anrufen. Telefon kreischt, ich erwarte meine Frau am anderen Ende zu hören, was durchaus Erfreuliches also, und turtele in den Hörer: „Hallo, mein lieber Schatz. Schön deine Stimme zu hören." Der Arbeitskollege, der gerade aus dem Rechenzentrum anruft, weil er eine Auskunft braucht, stutzt kurz und prustet dann los, daß mir die Vesperbrotkrümel das Innenohr verstopfen. Noch nach Tagen werde ich immer wieder mit den Worten begrüßt: „Hallo, mein lieber Schatz..."
Auf mein höflich-sachliches: „Sie sprechen mit Herrn Tenhaken. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag." brettert eine Telefonaquisiteurin los, die mir Diamanten, hochseetaugliche Tankschiffe und gebrauchte Space-Shuttles zum Spottpreis verkaufen will, und beendet ihre Tirade erst nach knapp 10 Minuten. Nicht ein einziges Komma hätte ich dazwischenschieben können, so dicht hagelten die Worte auf mich ein. Ein schweres verbales Ungewitter! Auflegen? Geht nicht. Wer will denn als unhöflich gelten. Obschon - sie hätt's vermutlich nicht einmal gemerkt.
Überhaupt - wie eilfertig man ans Telefon wetzt. „Ich bin wichtig, ich bin wichtig weil man mich anruft", jubelt es in einem und dann ist es nur ein irregeleitetes Fax, welches einem die Ohrwaschel schaudern macht.
Auch, wenn man selber einmal zum Hörer greift, um aktiv fernmündlich zu kommunizieren, kann es unangenehme Überraschungen geben. So erwischte ich kürzlich, welchem Umstand ich es verdanke weiß ich nicht, die Telefonseelsorge. Eigentlich hatte ich die Friedhofsverwaltung wegen eines bestimmten Verwaltungsaktes anrufen wollen. Leichtsinnigerweie hörte ich nicht sehr genau hin, als sich der Angerufene meldete. „Ja guten Tag, hier ist Tenhaken...". Ich weiß auch nicht warum ich das tue, doch die meisten Telefonate beginne ich mit dem Wort „Ja".
„Ja, guten Tag, hier ist Tenhaken. Ich habe da eine Frage bezüglich der Grabpflege usw. usw. usw." Es dauerte eine Weile bis ich mich darüber zu wundern begann, daß auf der anderen Seite der Leitung Stille herrschte. Nachdem ich meine Rede beendet hatte, erklang die Frage einer sanft säuselnden Stimme mit entschieden hypnotischem Unterton: „Herr Tenhaken, darf ich du sagen?" Etwas verwirrt erteile ich die Erlaubnis. „Also mein lieber. Sag mir doch einfach wo du wohnst, dann komme ich und wir können von Mensch zu Mensch reden. Ist dir das recht?" Seltsam zwar, aber warum nicht?
Es dauerte fast eine Viertelstunde, bis meine Frau und ich gemeinsam den angerückten Arzt und seine Helfer davon überzeugt hatten, daß ich nicht suizidgefährdet oder geistig umnachtet sei. Dann diese dümmliche Lügerei am Telefon: „Hallo, grüß' dich. Stör' ich gerade?" „Nein nein, keine Sorge. Wir sitzen hier gerade und entspannen ein wenig. Um was geht's denn?" „Ach, ich wollte euch mal ein bißchen von meinem Urlaub erzählen. Also das war wirklich..." Derweil stehe ich auf dem Flur, weil das Telefon auch gerade dort steht. In der Rechten halte ich meine Jüngste, welche gerade ihre Windel gefüllt hatte, in der Linken besagte und noch immer reichlich gefüllte Windel. Ich wollte die Kleine gerade reinigen. Nun muß ich meine rechte Backe auch noch reinigen. Doch nach kaum zwanzig Minuten weiß ich, was Paul alles im Urlaub erlebt hat. Cillie ist derweil stiften gegangen. Sie sitzt im Schlafzimmer auf meinem Bett. Kurz zuvor muß sie auf dem weißen Flokati gesessen haben...
Ganz schlimm sind ja seit einiger Zeit diese sogenannten „Handys" Diese volkskommunikativen Elektrofolterminiaturen, vermittels derer man nun endgültig jederzeit an beinahe jedem Ort „erreicht" werden kann. Mit fällt leider kein negatives Synonym für „erreicht" ein. Vielleicht „füsiliert" oder „liquidiert". Im Auto kann man sie sehen. Lässig halten sie das Handy in der einen und die Beifahrerin in der anderen Hand. Gelenkt wird mit dem eisernen Willen oder dem stahlblauen Blick oder durch die Beifahrerin. Im Restaurant, man möchte einmal in Ruhe und ohne „mir-schmeckt-das-nicht" Gequengel einen guten Happen essen, trillern einem diese Dinger immer öfter die Ohren voll. Interessant allerdings, die anderen Restaurantinsassen bei einem solchen Triller zu beobachten. Nicht immer nämlich läßt sich zweifelsfrei feststellen, wem dieser nervige Triller gilt. So hört man zunächst ein mehr oder minder diskretes Besteckklirren, wenn die Herren - es sind beinahe ausschließlich Herren, sehr wichtig aussehend - mit beinahe Lichtgeschwindigkeit in diverse Aufbewahrungstaschen greifen, um festzustellen, wer nun eigentlich gemeint ist. Interessant dann auch der triumphierende Blick dessen, den es gerade „erwischt" hat. „Ätsch, ich bin der Wichtige!"
Einmal war ich in einem größeren Kaufhaus, in welchem mich irgendwann ein gewisses Grundbedürfnis zu einer bestimmten Lokalität drängte. Kaum hatte ich mich gemütlich niedergelassen und ein mitgenommenes Prospekt aufgeschlagen, um lesenderweise den natürlichen Dingen in aller Ruhe ihren freien Lauf zu lassen, als aus der Nachbarzelle wirklich ein Handy trillerte. Der Mann neben mir meldete sich tatsächlich, kaum mochte ich es glauben. Aufgrund seiner aktuellen Tätigkeit wurde das Gespräch allerdings etwas verkrampft. Die lautmalerische Untermalung der Unterhaltung sowie die gepreßt klingende Stimme verlieh diesem einen bizarren Anstrich. Und bei mir? Aufgrund des Schocks verweigerte mein Verdauungssystem schlagartig jede Entsorgung und ich mußte diese geheiligten Hallen unverrichteter Dinge wieder verlassen. Ich wäre für ein rigoroses Handyverbot auf öffentlichen Toiletten.
Und wie einen diese Dinger erschrecken können. Kürzlich saß ich, was selten geschieht, auf einer kleinen Bank in unserem Stadtpark und las eine Zeitschrift. Plötzlich und mit elementarer Gewalt tobte ein Handy los, welches in einer kleinen Mappe neben mir auf jener Bank lag und dem ich zunächst aufgrund seiner Unscheinbarkeit keine Beachtung geschenkt hatte. Mein Kreislauf geriet in Wallung, mein Blutdruck stieg und als das Getöne gar nicht enden wollte, wurde mir schwindelig. Schließlich nahm ich das entsetzliche Gerät zur Hand. Ein junger Mann meldete sich und wir plauderten eine ganze Weile recht nett miteinander. Wen er und warum hatte anrufen wollte, wußte er nicht mehr. Als unser Gespräch beendet war, nahm ich, weil ich ein fürsorglicher und pflichtbewußter Mensch bin, dieses widerliche, abscheuliche und faszinierende Kommunikationsgerät an mich, um es im Fundbüro abzugeben.
Mehrere Wochen ist es her, als ich aus gewissen Verpflichtungen heraus, nicht gegen alle kann man sich erfolgreich wehren, mußte ich feststellen, einer Beerdigung beiwohnte. Ein Bekannter eines Bekannten, ein einst einflußreicher Mann, war an den Folgen eines schweren Telefoninfarktes verschieden und wurde nun mit allen Ehren und in großem Kreise zur letzten Ruhe gebettet. Wie inzwischen üblich, legte man ihm sein Handy mit ins Grab. Können Sie sich mein Schaudern vorstellen, als ich, als die ersten Erdklumpen auf den prachtvoll-eichenen, selbstverständlich Handy-förmigen, Sarg trafen, aus dem Sarg ein deutlich hörbares Handytrillern vernahm? Die eben noch so würdevoll-andächtig trauernde Trauergemeinde fuhr erschrocken zusammen und nahm, Würde Würde sein lassend, Reißaus; sie stoben auseinander, wie ein Laubhaufen im Novemberwind. Noch jetzt sträuben sich mir die Nackenhaare, wenn ich daran denke. Wer mochte da wohl angerufen haben?
Und auch jetzt noch, Wochen nach der Beerdigung, behaupten durchaus glaubwürdige und zuverlässige Menschen, daß immer wieder einmal aus des Grabes Tiefe ein inzwischen freilich schwächer werdendes Handytrillern zu vernehmen sei...
Es bleibt dabei: Telefonieren sollte eigentlich für intelligente Menschen, die ihr Leben im Griff haben, vollkommen unnötig sein. Es gibt nichts, was man nicht auch ohne Telefon lösen könnte. Ach übrigens: Das Handy, welches ich auf der weiter oben erwähnten Bank im Stadtpark gefunden hatte, gehörte und gehört mir. Niemand hatte es auf dem Fundbüro abgeholt, ich erinnerte mich dann daran, daß es meines sein mußte. Ich hatte, fasziniert von diesen Dingern, mir eines schönen Tages ein solches Gerät gekauft.
Sind recht praktisch, solche Handys. Man kann beinahe überall erreicht werden und zu jeder Zeit telefonieren, mit wem man möchte.
Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, lieber Leser. Ich will doch mal eben Johannes-Hubertus anrufen und nach den Hämorrhoiden seines Goldhamsters fragen. Der Guteste ist mir am Ende sonst vielleicht noch gram.
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