Du wolltest nicht

Einst ging ich auf dem breiten Weg, der zur Verdammnis führt, und war schon weit von Gott
hinweg auf dieser Bahn geirrt.
Da zeigte Gott mir ein Gesicht und führte mich in das Gericht.
Mir träumte, doch ich sah’s ganz klar, ich kanns auch heut noch sehen,
dass ich im Todestale war und musste durch dasselbe gehen.
Wir gingen durch die Dunkelheit, mein teures Weib mir war zur Seit.
Ein Engel, der uns hier geführt, der sprach sehr ernst zu mir:
„Wem’s hier im Tale lichter wird, geht durch die Himmelstür,
doch wem das Licht wird nicht aufgehn, der muss für immer Draußen stehn!“
Wir gingen durch das dunkle Tal und näher dem Gericht, da sprach mein Weib mit einem
mal: „Mir wird es jetzt schon licht! Ein heller lichter Tag bricht an, dass ich’s fast nicht
ertragen kann.“
Bei mir doch nicht…
Die Dunkelheit bei jedem Schritt vermehrte sich.
Ich fühlte, dass die Gnadenzeit auf ewig von mir wich.
Mit einem Male waren wir da droben vor der Himmelstür, wo viele andre standen schon.
Es dauerte auch nicht lange, da kam zu uns der Gottessohn – wie war mir Angst und Bange –
vom ew’gen Himmelsglanz umwallt in einer hellen Lichtgestalt.
Der Heiland gab ein weißes Kleid den andern, die dabei – auch meinem Weib an meiner Seit
– an mir ging er vorbei.
Und ohne dieses Hochzeitskleid geht niemand ein zur Seeligkeit.
Ich rief: „O Jesu hilf mir doch! Blick du auf mich in Gnaden; verleih das weiße Kleid mir
noch, dass ich nicht komm zu schaden!“
Voll ernstes nun der Heiland spricht: „Es ist zu spät, du wolltest nicht…“
Da sah ich meine Mutter stehn vor mir im weißen Kleide, so schön, wie ich sie nie gesehn, in
süßer Himmelsfreude.
Ihr angesicht erstrahlte ganz von einem überird’schen Glanz.
„O Mutter,“ rief ich sehr betrübt, „zum Heiland bete für mich doch, dass er das weiße Kleid
mir gibt und meiner sich erbarme noch!“
Doch, ach, wie ernst die Mutter spricht: „O nein, mein Kind, du wolltest nicht…“
Noch konnte ich mein teures Weib im weißen Kleide bei mir sehn; dann wandte sie sich von
mir ab, ins ewige Gezelt zu gehn.
Das Band der Liebe, unser Glück, zerriss in einem Augenblick.
Ich rief in meiner Bangigkeit: „Willst du nun von mir gehen und nicht das weiße Kleid vom
Heiland mir erflehen?“
„O Herr,“ so ernst die teure spricht, „es ist zu spät, du wolltest nicht.“
Da sah ich vor mir eine Tür – so schrecklich kann es sein! –
Und dann den Feind, der winkte mir zum Gang in seine Tür.
Was ich dort sah durch jene Tür, darüber Seele, schweig ich hier.
Ich schrie in meiner Bangigkeit, auf meinem Lager auf!
Und dieser Schrei ums weiße Kleid, der weckte mich dann auf.
Ich fühlte nun, sobald ich wach, dass Gott im Traume zu mir sprach.
Das war zu viel, es brach mein Herz in wahrer Reu und Buß.
Ich fiel in meinem Seelenschmerz dem lieben Gott zu Fuß.
Und Gott verstieß mich armen nicht und ging mit mir nicht ins Gericht.
Nun ist es meine heil’ge Pflicht, dass ich es andern sage,
und bis mein Herz im Tode bricht, die Botschaft weiter trage.
Ich frage dich an diesem Heut: „Wie steht es um das Hochzeitskleid?“
Du eilst aus dieser Gnadenzeit hinweg mit schnellem Schritt.
Der Tod kommt bald, vielleicht noch heut, und dann nimmt er dich mit!
Wird dir das Licht vom Himmelssaal auch leuchten durch das Todestal?
Hast du noch nicht dein Haus bestellt, dann ist es höchste Zeit.
Kehr dich zu Gott, sag ab der Welt und mache dich bereit – dass nicht einst Jesus zu dir
spricht: „Es ist zu spät, du wolltest nicht!“