Scientology weichen? Das kam für die Berliner Verkehrsbetriebe nicht infrage. Als die deutschen Jünger der amerikanischen Psychogruppe voriges Jahr ihre neue Hauptstadt-Dependance im Stadtteil Charlottenburg eröffneten, beschloss der zuständige Stadtrat die Verlegung einer Bushaltestelle. Denn das Wartehäuschen liegt direkt gegenüber dem Eingang der Sektenzentrale, einem Prachtbau aus Glas und Beton. Die Lokalpolitiker fürchteten, dass die Scientologen die Wartenden mit ihren pseudoreligiösen Botschaften missionieren könnten. Doch die Verkehrsbetriebe stellten sich bockig: Sie halten ihre Kunden für mündig genug, der Indoktrination zu trotzen, und weigerten sich, das Bushäuschen abzubauen. Der Stadtrat begnügte sich mit einem großen Plakat, das nun an der Haltestelle prangt und die Bürger mit Telefonnummern versorgt, an die sie sich bei Belästigungen wenden können.

Nicht nur die Berliner Kommunalpolitik ringt um den richtigen Umgang mit den Anhängern des verstorbenen Science-Fiction-Autors Ron Hubbard. Auch die Innenminister der Republik tun sich schwer. Vor einem Jahr beauftragten sie den Verfassungsschutz, die Aussichten eines Verbots der Organisation zu überprüfen. "Von dieser Sekte geht ein hohes Risiko aus", begründete Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) den Vorstoß. Der Beschluss sei ein "großer Erfolg" im Kampf gegen diese "kriminelle Vereinigung", jubelte der Kollege aus Hamburg. Wenn sich die 16 Innenminister am Mittwoch in Potsdam treffen, werden die Kommentare zurückhaltender ausfallen. Denn der 46 Seiten umfassende Geheimdienst-Bericht ist fertig - und bietet wenig Anhaltspunkte für ein erfolgreiches Verbot. Das Lagebild sei lückenhaft, das Prozessrisiko erheblich, und ein Scheitern könne zum Ansehensverlust des Staates führen, heißt es in dem vertraulichen Dossier.

"Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Verbotsverfahren nicht zielführend ist", bestätigte Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm der "Welt am Sonntag". Der derzeit amtierende Vorsitzende der Innenministerkonferenz sah ein Verbot - immerhin das schärfste Schwert des Rechtsstaates - stets skeptisch.

"Ganz generell diskutieren wir in Deutschland zu schnell über diese Vereinsverbote. Wenn wir meinen, dass eine Ansicht nicht ganz korrekt ist, wollen wir sie gleich verbieten", sagte Schönbohm. "Aber wir leben in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, in der die Meinungsfreiheit ein hohes Gut ist." Stattdessen wünscht er sich mehr Selbstbewusstsein und Vertrauen in die Demokratie: "Wer ernsthaft glaubt, wir würden von 5000 Scientologen gefährdet, ist in meinen Augen hasenfüßig." Den Berliner Verkehrsbetrieben kann man das jedenfalls nicht vorwerfen.

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