Nun Thalestris, dass er schlimme Dinge nicht verhindert hat meiner Meinung nach einen anderen Grund, denn er würde uns den freien Willen nehmen, wenn er diese verhindert. Eben das, worin sich Seine Liebe zeigt. Und du müsstest dich fragen, wo hört sein Eingreifen auf. Beim Mörder, dessen Tat er verhindert? Beim Dieb, dessen Diebstahl den Reichtum eines anderen mindert? Bei einem Schnäppchenjäger, dessen Sparsamkeit andernorts Menschen in Armut hält und dort den Hungertod eines Kindes begünstigt? Oder bei dem Fußgänger, der eilig an einem Bettler vorbei eilt, ohne seinen Reichtum mit diesem zu teilen? Jedes menschliche Handeln verursacht über Dutzende Ecken Leid. Selbst die edelste tat, selbst die gut gemeinte Rettung eines Menschen mag sich im Nachhinein als bedauerlicher Fehler herausstellen, wenn denn das Handeln des Geretteten wiederum zum Leiden eines anderen führt. Anderes wiederum scheint im ersten Moment eine verurteilenswerte Tat zu sein, aber ihre Folgen könnten auch zu Gutem führen – stell dir einmal vor, ein Betrunkener überfährt versehentlich einen Massenmörder. Wäre Gott bemüht jede Entscheidung zu verhindern, aus der Übles erwachsen könnte, wäre dies vermutlich kaum möglich. Und wenn, dann nur zum Preis dessen, dass nur eine, nämlich die beste aller möglichen Realitäten zur Wirklichkeit wird – dann aber muss er jede einzelne Handlung kontrollieren, was uns unterm Strich zu Marionetten machen würde. Nein Thalestris, so tragisch es uns scheinen mag und so sehr es auch die Betroffenen wütend und verzweifelt macht – die im Zugeständnis der Freiheit sich manifestierende Liebe Gottes geht meines Erachtens nur entweder ganz oder gar nicht. Was nicht bedeutet, dass das Schicksal der Leidenden Gott egal wäre und Er nicht sein möglichstes tut, ihnen auf jenem Weg zu helfen, der Ihm nicht verwehrt ist – durch Zuspruch und Trost.
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