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  1. #1
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    2

    Standard

    Hi Zeuge..

    ...was willst du mit deinem text sagen? versteh das nicht ganz.

    Lily

  2. #2
    Zeuge Gast

    Standard

    Zitat Zitat von LilyMorgan Beitrag anzeigen
    Hi Zeuge..

    ...was willst du mit deinem text sagen? versteh das nicht ganz.Lily
    Richard Wurmbrand hat geschrieben, daß keine christliche Denomination ein Konzept hat, nach dem das Reich Gottes aufzubauen geht. Und darin hat er recht.

    Nun, hier versuch ich so ein Konzept zu finden.

  3. #3
    Zeuge Gast

    Standard Individuum oder Gemeinschaft?

    Heinz Abels: Individuum oder Gemeinschaft?
    Anmerkungen zur Sozialisationskultur in Russland und in Deutschland (Sommeruniversität 2001)

    In seinem Bericht über die „Reise zu den Moskowitern“ imJahre 1526 vermerkt der österreichische Diplomat Sigismund zu Herberstein, „das einfache russische Volk“ liebe „die Dienstbarkeit mehr als die Freiheit“ und selbst, wo reiche Leute auf dem Sterbebett ihren Dienstleuten die Freiheit gäben, verkauften sich die Freigelassenen „bald wieder gegen gutes Geld in eine andere Dienstbarkeit.“ (Herberstein, S. 140) Fehlt dem einfachen russischen Volk nun ein Gespür für individuelle Freiheit, oder fehlt dem Westeuropäer das Gespür für das Bedürfnis nach einer Bindung - wie immer sie auch aussehen mag? Immerhin hat Herberstein, dessen Berichte das Bild von Russland in Westeuropa wesentlich bestimmt haben, auch etwas zweites, scheinbar Absonderliches gehört: Diener beklagen sich, wenn der Herr sie nicht regelmäßig schlage, denn sie hielten das für ein Zeichen von Ungnade. (Herberstein, S. 153) Also noch einmal: statt Freiheit - was immer sie auch sein mag - lieber die regelmäßige soziale Zuwendung, wie sie enger (und auch schmerzhafter!) nicht sein kann!

    Fast fünfhundert Jahre später sinnieren Soziologen und Politiker darüber, warum soziale und ökonomische Reformen in Russland unter Putin so schwer in Gang kommen. Und wieder wird eine Erklärung geliefert, die wenig mit dem Gedanken von Individualität und Freiheit, viel aber mit Massenbewusstsein und sozialer Gewohnheit zu tun hat: der russische Mensch lasse sich nicht gern als Einzelner in die Pflicht für die Zukunft nehmen, sondern gehe lieber als Teil eines „wir“ die vertrauten Wege, auf denen auch alle anderen seit je gehen. Der russische Soziologe Boris Dubin spricht von einem Mangel an „sozialer Differenzierung“ und einer „Armut an gesellschaftlichen Beziehungen“. (zit. nach Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.3.2001) Bei dieser Erklärung scheint natürlich das Bild der Moderne auf, die ihren scheinbaren Siegeszug eben dieser sozialen Differenzierung und den damit gebotenen gesellschaftlichen, d. h. sachlichen und zweckrationalen Beziehungen verdankt.

    Ich will nun den Blick von dieser russischen „Mangelhypothese“ weglenken und die Frage stellen, ob nicht umgekehrt ein westlicher Mangel - der an gemeinschaftlichen Beziehungen – mindestens ebenso zu bedenken wäre. Eine Antwort versuche ich dadurch zu geben, dass ich die Sozialisationskulturen in Russland und in Deutschland vergleiche. Ich möchte zeigen, warum in Russland der Gedanke der Individualität und in Deutschland der Gedanke der Gemeinschaft zu kurz kommen.

    1. Genügsamkeit, Opferung und die Verhinderung von Individualität
    Der Blick auf den Menschen in Russland war jahrzehntelang durch zwei Theorien bestimmt: Nach der Totalitarismustheorie war der einzelne total unterdrückt, isoliert und machtlos; nach der „revisionistischen“ Geschichtsschreibung ging es nicht um das einzelne Individuum, sondern um kollektive Subjekte. Der Historiker Jochen Hellbeck hat nun russische Tagebücher, Memoiren und Autobiographien aus dem 19. und 20. Jahrhundert aus Russland bzw. der Sowjetunion ausgewertet und kommt zu einem anderen Urteil. Er bezweifelt eine Dichotomie von Öffentlichem und Privatem in Russland. Für die Schreiber in der Zeit der Sowjetunion könne man sogar sagen, dass sie ihr Selbst genau dadurch zum Ausdruck brachten, indem sie es mit dem Kollektiv zu verschmelzen suchten. (zit. nach Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.1.2001)
    ...
    Nachdem sich die Russen von fast 200 Jahre währender Mongolenherrschaft befreien konnten und sich die Moskauer Rus im 13. und 14. Jh. herausbildete, entwickelte sich eine ökonomische Praxis, die man als „geschlossene Hauswirtschaft“ (domaschni) bezeichnet. Ein weiteres Kennzeichen dieser ökonomischen Praxis ist ihr „gemeinschaftlicher“ (obschtschina) Charakter.
    ...
    Das soziale Prinzip der obschtschina war also nicht das einer Gesellschaft, sondern das einer Gemeinschaft. Die Gesellschaft ist nach dem Prinzip der Sachlichkeit, der überindividuellen Funktionalität und generalisierter Verhaltenserwartungen organisiert. Die Gemeinschaft hingegen lebt von einer gefühlsmäßigen Verbundenheit zwischen Personen, die sich als Teil eines größeren Ganzen und damit als Repräsentanten einer kollektiven Identität verstehen. Ihr Verhältnis zueinander ist von Zuneigung und Vertrauen in die Gesamtheit der Person geprägt.
    ...
    Deshalb stand auch Reichtum an sich nicht in hohem Ansehen. „Wesentlich höher im Kurs stand die Ruhmestat“. (Boronoev und Smirnov 1998, S. 83) Reichtum war nur insofern von Wert, als man ihn freigebig bei Festen und Gelegen verschwendete. Der Reichtum, den sich die Großbauern, die Kulaken, erwarben, indem sie für einen Markt produzierten, galt als unmoralisch. Sie hatten sich nämlich aus der obschtschina gelöst, die Gemeinschaft also aufgegeben, und arbeiteten nach rationalen, marktwirtschaftlichen Prinzipien, vor allem aber als Individuen. Wer das aber tat, konnte kein guter Mensch sein! Etwas von der Verachtung individueller Anstrengung hat sich bis heute erhalten. Umgekehrt hat die kommunistische Ideologie nahtlos an dieses kollektivistische Denken anschließen können. Ja, man kann sogar sagen, dass die obschtschina durch diese Ideologie eine Aufwertung bekommen hat, die einerseits den Traum der Gleichheit und inneren Verbundenheit mit einer Gemeinschaft wahr werden ließ, die andererseits aber den Zwang zur Individualität, wie sie im Westen gefordert wurde, für dekadent und das Prinzip Gesellschaft für falsch erklärte.
    Geändert von Zeuge (05.02.2009 um 07:26 Uhr)

  4. #4
    Zeuge Gast

    Standard

    2. Individualisierung: die Ausweisung aus der Gemeinschaft und der Zwang, für sich allein zu stehen.

    Blicken wir auf die Sozialisationskultur in Deutschland. Der deutsche Soziologie Ulrich Beck hat einen neuen „Modus der Vergesellschaftung“, eine Art Gestaltwandel im Verhältnis von Individuum und Gesellschaft festgestellt, den er als ,Individualisierung‘ bezeichnet. (Beck 1986, S. 205) Diese Entwicklung zeichnete sich schon am Ende des 19. Jahrhunderts ab und gewann in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg an Fahrt. Nach Beck hat die Moderne zu einer dreifachen Individualisierung geführt: „Herauslösung aus historisch vorgegebenen Sozialformen und - bindungen im Sinne traditionaler Herrschafts - und Versorgungszusammenhänge (,Freisetzungsdimension‘), Verlust von traditionalen Sicherheiten im Hinblick auf Handlungswissen, Glauben und leitende Normen (,Entzauberungsdimension‘) und - womit die Bedeutung des Begriffes gleichsam in ihr Gegenteil verkehrt wird – eine neue Art der sozialen Einbindung (,Kontroll- bzw. Reintegrationsdimension‘).“ (Beck 1986, S. 206)

    Was Entzauberung meint, liegt auf der Hand: es gibt keine verbindlichen Sinnsysteme mehr, auf die sich alle bezögen. Das wurde nicht erst durch die Aufklärung in Gang gesetzt, erhielt aber dort seine moralische und politische Rechtfertigung. Ganz entscheidend haben im 20. Jahrhundert die Medien, und hier vor allem das Fernsehen, dazu beigetragen, dass aus der Darstellung der Fülle des Lebens für alle ein Schluss herauskam: Für fast alles gibt es gute Gründe, und kein Wert und keine Norm, kein Geheimnis und kein Glaube ist im Prinzip besser oder schlechter als ein anderer. Entzauberung heißt denn auch, dass naives Vertrauen auf irgendeinen Sinn nicht mehr möglich ist. Das Individuum muss im Grunde ohne Netz und doppelten Boden alles selbst erfinden, entscheiden - und vor anderen rechtfertigen! In dieser Hinsicht trifft es den einen mehr und den anderen weniger. Der eine ist zu einem solchen Verhalten mehr in der Lage als ein anderer; dieser ist in soziale Beziehungen eingebunden, die eine relative Sicherheit in dieser Hinsicht geben, und jener ist ratlos auf sich gestellt. Der soziale Wandel besteht in einem Mentalitätswandel, in dem es auch um emotionale Sicherheit und Gewissheit der eigenen Person und die Stellung zur Gesellschaft geht.

    Als einen Kristallisationspunkt der zweiten Dimensionen der Individualisierung, der Freisetzung, nennt Beck die „Herauslösung aus ständisch geprägten sozialen Klassen“ (Beck 1986, S. 208). An die Stelle von Ständen und Klassen, aber auch geschlossenen Milieus, in denen sich Individuen gemeinschaftlich verbunden fühlen, sind lockere und wechselnde Verbindungen getreten, in denen sich Individuen in jeweiligen Rollen und mit sachlichen Absichten gegenüberstehen. Beck bezeichnet die Gesellschaft sogar als Loseblattsammlung von Individuen!
    Einen zweiten Kristallisationspunkt der Freisetzung sieht er in der Veränderung im familialen Beziehungsgefüge. Auch hier ist es so, dass sich die Individuen immer seltener als ganze Person aufgehoben und gefordert fühlen, sondern jeder Einzelne trägt seine zahlreichen Rollen und Identitäten, die sich alle einer differenzierten gesellschaftlichen Funktionalität verdanken, mit sich herum. Warum brauchen sie überhaupt eine Familie? Beck gibt eine scharfe, desillusionierende Antwort: In der Familie gehen sie „ein eigenartig widerspruchsvolles Zweckbündnis zum geregelten Emotionalitätsaustausch auf Widerruf“ (Beck 1986, S. 208f.) ein! Aus der Sicht einer älteren, kritischen Theorie könnte man sagen: die gesellschaftlichen Verhältnisse, die durch Funktionalität und Entfremdung der Person gekennzeichnet sind, schlagen auf die Familie als Idee ursprünglicher Gemeinschaft durch und reproduzieren dort gleiche Sozialisationsstrukturen. Das Individuum wird freigesetzt von einer Gemeinschaft und in seiner Fähigkeit beansprucht, sich immer und überall in seinen gesellschaftlichen Rollen zurechtzufinden. Das allein ist schon schwer genug. Noch schwerer ist aber die Forderung, angesichts der Pluralität und Widersprüchlichkeit dieser Rollen so etwas wie eine unverwechselbare Identität zu zeigen. Wahrscheinlich erhalten wir uns auch nur die Phantasie, dass wir das könnten, weil wir sonst die Vertreibung aus der Geborgenheit dieser und anderer Gemeinschaften nicht ertragen könnten!
    ...
    Ein Ziel des neuen Denkens dürfte allerdings klar sein: Der Widerspruch zwischen Institutionen und individuellen Lebenslagen schreit geradezu danach, das Dritte zu suchen: Gemeinschaft.
    ...
    An die Gesellschaft sind wir durch Funktionalität gekettet. Das macht sie trotz aller Komplexität und Widersprüchlichkeit in gewisser Weise kalkulierbar und aushaltbar.
    An Gemeinschaften können wir uns binden, weil sie jenseits sachlicher Funktionalität stehen. Sie funktionieren nach dem Prinzip des Vertrauens. Dafür gibt es keine rationale Begründung und keine einklagbare Garantie. Aber es tut der Seele gut.

  5. #5
    Zeuge Gast

    Standard Befreiungstheologie

    Zitat:Original geschrieben von Hellscream
    Das Thema der sozialen Kritik ist es, der Bibel ihr ureigenstes Thema, die Befreiung aus jeder Form der Sklaverei, wiederentdeckten und daraus politische Folgerungen für ihre Realität ableiten lässt. Dabei kommt der Exodustradition entscheidende Schlüsselbedeutung zu: Hier erscheint der Gott Israels als der, "der das Elend seines Volkes sieht und die Schreie über ihre Bedränger hört". Dies wird im Neuen Testament ebenfalls gleich zu Anfang bekräftigt, wo Maria als Lobpreis für die ihr zugesagte Geburt des Messias singt: "Er stößt die Mächtigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer." Dies sind nur zwei von uzähligen Texten und Textstellen in der Bibel die die Befreiungstheologie bekräftigen. Darum wird Erlösung als Zentralbegriff der biblischen Heilsbotschaft nicht wie in der traditionellen Kirchentheologie ausschließlich spirituell verstanden, sondern als eine sozialpolitische und ökonomische revolutionäre Veränderung. Das Heil, das die Bibel verkündet, wird nicht mehr nur auf das Jenseits bezogen, sondern auf die gesellschaftliche Realität im Diesseits.
    "Und ich hob wieder meine Augen auf und sah: Und siehe, eine fliegende Schriftolle!
    Und er (der Engel) sprach zu mir: Was siehst du? Und ich sagte: Ich sehe eine fliegende Schriftrolle, ihre Länge (beträgt) zwanzig Ellen und ihrre Breite zehn Ellen.
    Und er sprach zu mir: Dies ist der Fluch, der ausgeht über die Fläche des ganzen Landes. Denn jeder, der stiehlt, ist bisher - wie lange (nun schon)! - ungestaft geblieben, und jeder, der (falsch) schwört, ist bisher - wie lange (nun schon)! - ungestraft geblieben.
    Ich habe ihn ausgehen lassen, spricht der HERR der Herscharen, und er wird kommen in das Haus des Diebes und in das Haus dessen, der bei meinem Namen falsch schwört; und mitten in seinem Haus wird er über Nacht bleiben und wird es vernichten, sowohl sein Gebälk als auch seine Steine."
    (Sach. 5:1-4.)

    Mann könnte das Werk von Pierre-Joseph Proudhon "Qu’est ce que la propriété? Ou recherches sur le principe du droit et du gouvernement" (1840) als den ersten Teil dieser Schriftrolle sehen. Dann fehlt noch der zweite Teil, der zeigen würde, daß das Ziel Gottes für die Menschheit Kommunismus ist. Und daß alle, die unter dem Vowand der Religion, gegen dieses Ziel arbeiten, falsch beim Namen Gottes schwören, b.z.w. sich zu Unrecht Gläubige nennen.
    Geändert von Zeuge (18.04.2009 um 09:45 Uhr)

  6. #6
    Emma-Smith Gast

    Standard Der Kommunismus - so, wie ich ihn sehe

    Der Kommunismus war,dass ist meine ehrliche Überzeugung,von der Grundidee der Gleichheit aller Menschen/Länder und der gerechten Verteilung sinnvoll und richtig. Nur, und hier kommt meine Kritik, sie war schlampig umgesetzt. Und letzendlich ging es den Machthabern nicht mehr um das Wohl des Volkes, sondern das eigene Wohl und den Machterhalt, für das sie ALLES was dazu nötig war, taten, selbst Gewalt gegen das eigene Volk anwenden.
    Hat sich der Kommunismus in die Geschichte verabschiedet? Oder wird er in der einen oder anderen Form wieder auferstehen? Ist die Idee überhaupt "totzukriegen"?

  7. #7
    Zeuge Gast

    Standard

    Ud hier hab ich ein Artikel gefunden, der zeigt, daß ich nicht der einzige bin.

    Darf ich vorstellen: Genosse Jesus, Kommunist

    Als Christ und Kommunist werde ich oft gefragt, wie das zu vereinbaren ist. Die Antwort ist einfach: alle Christen sind aufgerufen, Jesus nachzufolgen. Da er Kommunist war, muß ich das auch sein.

    Das mag provokativ klingen - oder wie der Versuch, mir von verschiedenen Weltanschauungen das auszusuchen, was mir in meine persönlichen Vorstellungen paßt. Deshalb werde ich nachweisen, daß jeder konsequente Christ Kommunist sein muß und die - ach so atheistischen - Kommunisten an denselben Gott glauben wie Jesus und bei Berücksichtigung christlicher Erkenntnisse zu konsequenteren Kommunisten werden.

    Zunächst ein Beispiel, daß ich mit dieser Erkenntnis nicht allein dastehe: Mein Genosse und Freund, Hans Jürgen Westphal, argumentiert ebenfalls gern mit biblischen Zitaten. Für die, welche ihn nicht kennen: er steht seit der Konterrevolution (von Manchen "Wende" genannt) (fast) täglich bei Wind und Wetter mit der roten Fahne auf der Prager Straße in Dresden. Da er dabei einige Jahre auch "Die Rote Fahne", das Zentralorgan der KPD, verkaufte, ist er in Dresden auch stadtbekannt als "die rote Fahne". Einen treffenderen Spitznamen kann es schwerlich geben.

    Interessant ist, daß er schon zu DDR-Zeiten im Parteilehrjahr der SED "Bibelstunden" abhielt - und die Dozenten im Parteilehrjahr waren durch und durch "Rote". Jedenfalls ist er mit der Bibel so gut vertraut, daß er den meisten "Christen" selbst ihre Religion erläutern kann und nur die besser belesenen an mich verweisen muß (ich vergaß zu erwähnen, daß ich mit ihm gemeinsam missioniere). Umgekehrt kennt er sich dafür besser in marxistisch-leninistischer Theorie aus. Wir ergänzen uns hervorragend.

    Nun gut, das ist die Erscheinung, nicht das Wesen. Was ist also dran an der Übereinstimmung christlicher und kommunistischer Ideologie?

    Zunächst berufen sich beide auf eine höchste, vom Menschen unveränderbare Macht, allmächtig, ewig, allgegenwärtig, allwissend, willkürlich und unsichtbar. Christen nennen sie Gott, Kommunisten objektive Gesetzmäßigkeiten.

    Beide stellen den Gemeinnutz in den Mittelpunkt anzustrebenden Verhaltens. Beide Ideologien haben zentrale Grundsätze. Christen: "Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst.", Kommunisten: "Jeder nach seinen Fähigkeiten, Jedem nach seinen Bedürfnissen." Der Inhalt ist zwar gleich, aber der Punkt für Klarheit geht eindeutig an Jesus (zugegeben hat der hier das Alte Testament, die Thora, zitiert).

    Beide setzen als Grundlage der Veränderung an den ökonomischen (Produktions-) Verhältnissen an. Jesus: "Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Reicher in die neue Welt Gottes kommt." Marx: [siehe "Manifest der Kommunistischen Partei", "Das Kapital" (I-III) und so ziemlich jede andere Schrift]. Der Punkt geht an Marx, da Jesus die Erkenntnis der ökonomischen Basis der Gesellschaft zu sehr komprimierte.

    Eine Parallele darf ich keinesfalls unterschlagen: Jesus: "An ihren Früchten sollt Ihr sie erkennen." Kommunisten: "Das Kriterium der Wahrheit ist die Anwendbarkeit in der Praxis."

    Ich könnte noch mehr Punkte vergleichen und zeigen, daß sie nicht gegenüberstehen, sondern nur wenig verschiedene Blickwinkel auf dieselbe objektiven Realität ausdrücken. Der deutlichste Ausdruck dessen steht aber nicht in den Evangelien, sondern in der Apostelgeschichte, welche die entstehenden urchristlichen Gemeinden nach Jesu Kreuzigung beschreibt:

    "32Die ganze Gemeinde war ein Herz und eine Seele. Wenn einer Vermögen hatte, betrachtete er es nicht als persönliches, sondern als gemeinsames Eigentum. 33Durch ihr Wort und die Wunder, die sie vollbrachten, bezeugten die Apostel* Jesus als den auferstandenen Herrn, und Gott beschenkte die ganze Gemeinde reich mit den Wirkungen, die von Seinem Geist* ausgehen. 34Niemand aus der Gemeinde brauchte Not zu leiden. Sooft es an etwas fehlte, verkaufte irgendeiner sein Grundstück oder sein Haus 35und brachte den Erlös zu den Aposteln. Jeder bekam davon so viel, wie er nötig hatte.
    36-37So machte es auch Josef, ein Levit aus Zypern, den die Apostel Barnabas nannten, das heißt "der Mann, der anderen Mut macht". Er verkaufte seinen Acker, brachte das Geld und legte es den Aposteln zu Füßen." (Apg 4,32ff.)

    Die Grundsätze der Organisation urchristlicher Gemeinden waren also: gemeinschaftliches Eigentum, auch an Produktionsmitteln (Acker, Vieh), Gemeinnutz, brüderliche Verbundenheit und nicht zuletzt die Führung durch den fortschrittlichsten, bewußtesten und konsequentesten Teil der Gemeinschaft, die Apostel (bei Kommunisten ist das die Avantgarde, die kommunistische Partei). Na ja, in Josef aus Zypern den Hinweis auf Internationalismus zu erkennen, ist vielleicht etwas zu vage - oder auch nicht.

    Mit dem zeitlichen Ende biblischer Ereignisse endet aber die Geschichte der Religion nicht. Für weitere 300 Jahre breiteten sich die urchristlichen Gemeinden im ganzen Römischen Imperium und darüber hinaus aus. Sie entstanden, wo die gesellschaftlichen Bedingungen "reif" waren, die christliche Theorie in die Lebensweise umzusetzen und wechselwirkend die christliche Ideologie zu entwickeln. Kommunisten nennen das (gemäß Lenin) eine revolutionäre Situation, welche unabdingbar für die soziale Revolution ist.

    An dieser Form der Verbreitung läßt sich nachweisen, daß gemeinnützige Gesellschaften lokal entstehen können und keiner "Weltrevolution" bedürfen, sowie daß keine parallele Entwicklung verschiedener Regionen erfolgen muß noch kann (womit der Trotzkismus schon vor knapp 2000 Jahren widerlegt wurde).

    Und wie uns später die Interventionskriege gegen Sowjetrußland erneut lehrten, und die VR Cuba trotz jahrzehntelangen Embargos derzeit beweist, sind diese lokalen gemeinnützigen Gesellschaften durch die übermächtigen egoistischen nicht zu beseitigen, sondern dehnen sich immer weiter aus.

    Bisher haben die reaktionären Kräfte immer auf demselben Weg gesiegt: Sie lullten die Führung der revolutionären Kräfte ein und / oder erpreßten / schmierten sie. Was die "Konstantinische Wende" ab AD 312 war, war kürzlich die "Wende" 1989 f.. Schon der Begriff "Wende" zeigt die erstaunliche Parallele, daß damit eine Konterrevolution verschleiert wird, der Rückfall in eine reaktionäre Klassengesellschaft. 312ff. fielen die christlichen Gemeinden in die Sklavenhaltergesellschaft zurück, 1989ff. die sozialistischen Länder in den Kapitalismus.

    In beiden Fällen änderte sich auch die ökonomische Grundlage. Das gemeinschaftliche / gesellschaftliche Eigentum wurde wieder in Privateigentum umgewandelt.

    Und noch eine Parallele zeigt sich: die institutionellen Kirchen bezeichnen auch die Konterrevolution 1989 als "Wende". Sie bestätigen so die geistige Gefolgschaft der Verräter des christlichen Glaubens vor fast 1700 Jahren.

    Jesus lebte unter anderen Produktionsverhältnissen, seine Sprache ist nur mangelhaft in modernes Deutsch übertragbar, und dennoch sind seine Erkenntnisse denen ähnlich (oder gleich?), welche neuzeitliche Kommunisten vertreten.

    Man mag einwenden, daß Jesus keine wissenschaftliche Weltanschauung hatte, was für einen Kommunisten unabdingbar ist. Aber worauf gründet sich diese Vermutung? Auf die Überlieferungen des Neuen Testaments. Das hat aber nicht Jesus geschrieben. Uns ist somit nichts über seine Weltanschauung bekannt - oder doch?

    Wir kennen die Schlußfolgerungen anhand seiner Gleichnisse und unverschlüsselten Forderungen, welche er einfachen Bauern, Handwerkern und anderen Menschen seiner Zeit in ihrer Sprache vermittelte. Und die weisen auf umfangreiche zugrundeliegende soziologische Erkenntnisse hin, die weit über das dumme Gutmenschentum hinausgehen, welches wir von Humanisten und utopischen Sozialisten kennen - wie auch von heutigen "Christen".

    Und er hebt - wie schon Moses - immer wieder zwei Dinge hervor: die Notwendigkeit ständig erweiterter Erkenntnis als Grundlage bewußten Handelns und die ökonomische Grundlage der damaligen Gesellschaft und der zu errichtenden (kommunistischen). Die Forderung gesellschaftlichen Eigentums an gesellschaftlichen Produktionsmitteln ist zwar nicht direkt, aber in der erwähnten Apostelgeschichte indirekt überliefert.

    Außerdem ist bekannt, daß er seine Jünger als Agitatoren aussandte. Marx: "...die Theorie wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift."

    Zugegeben wählte er einen anderen Weg als die Enteignung der herrschenden Klasse und die Ablösung des Staates - was, wie gesagt, dem Christentum im 4. Jahrhundert zum Verhängnis wurde. Das ist auch nicht dadurch zu relativieren, daß der Sozialismus auch weltweit vorübergehend zurückgedrängt wurde, denn das lag ja nicht an der falschen Theorie seiner Errichtung, sondern an Fehlern bei seiner Entwicklung.

    Aber Jesus war sich seiner Mängel durchaus bewußt, denn er kündigte an, er werde neue Propheten und Lehrer senden - was ja bei Überzeugung von eigener Perfektion unsinnig wäre. Man sollte sich nicht an der Formulierung stören, denn auch Marx "sandte" neue Theoretiker des Kommunismus wie Lenin und Stalin, die auf seinen Erkenntnissen aufbauten und ohne sie vielleicht so weit gekommen wären wie er, aber nicht weiter.

    Kurz und gut: Jesus war Kommunist, wahrscheinlich nicht aufgrund einer schwer erklärbaren Intuition, sondern einer wissenschaftlichen Weltanschauung. Er war nicht DER Kommunist, den es nicht geben kann, denn Kommunismus beruht ja gerade auf gegenseitiger Ergänzung und nicht auf der Vorstellung eines einzelnen Übermenschen.

    Er war so sehr Kommunist, daß ich erst durch Verständnis der Bibel den Marxismus-Leninismus verstanden habe. Den hatte ich vorher - wie die meisten DDR-Bürger - zwar auswendig nachgeplappert, soweit das in Schule, Armee und Studium nötig war, aber überzeugt hatte er mich nicht.

    28.07.2004, geändert am 30.07.2004

    Torsten Reichelt
    P.S. Auch wenn ich nicht in allem mit ihm übeeinstimme, dennoch ...
    Geändert von Zeuge (25.04.2009 um 09:18 Uhr)


 

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