Lieber Digido,

Zitat von
Digido
Da ich aber Christ bin und weiß, dass Reinkarnation eine allgemein gültige Tatsache ist, musste ich doch darauf hinweisen, dass ich mir nicht das Christsein von denen absprechen lasse, deren Unkenntnis in allen relevanten Sachverhalten offensichtlich wurde.
nun, wenn deine Bemerkung mehr der Empörung darüber entsprang, dass man dir dein Christsein absprechen wollte, kann ich dich verstehen. Danke das du dich da nochmal erklärt hast.
Hallo Netkrel,
also da hast du aber eine Erwartung.^^ Um ganz ehrlich zu sein scheue ich mich ein wenig deiner Bitte nachzukommen, denn es liegt in der Natur der Sache dass wenn ich dies versuche, die Darstellung zwangsläufig ungenau und so oberflächlich ist, dass Fragen offen bleiben werden und die Darstellung als ganzes doch entweder unbefriedigend bleibt oder aber zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der zugegeben komplexen Philosophie provoziert. Außerdem gibt es nicht DEN Panpsychismus sondern verschiedene Ausformungen dieses Konzeptes, auch das gilt es zu bedenken. Aber ich will es dir zu liebe versuchen zumindest so ein paar grundsätzliche Aspekte in sehr einfachen Bildern zu beschreiben.
Eine der theoretischen Grundlagen in diesem Konzept ist dabei die Ablehnung einer Trennung von Geist und Materie auf der einen Seite (bei der die Frage bleibt, wie wirkt Geist auf Materie und umgekehrt Materie auf Geist ein, wenn diese keine Berührungspunkte haben), als auch einen bloßen Materialismus auf der anderen Seite (weil bestritten wird, das Geist aus dem Nichts durch die Materie entsteht). Die argumentative Grundstruktur des Panpsychismus ist dabei:
1. Es gibt geistige Eigenschaften.
2. Es gibt materielle Eigenschaften
3. Beide Eigenschaften sind nicht miteinander identisch
4. Geistige Eigenschaften entstehen nicht aus Materie
Schlussfolgerung: Geistige Eigenschaften sind schon vorab in der Materie angelegt, d.h. Materie hat neben materiellen Eigenschaften immer auch geistige Eigenschaften.
Der Gedanke dabei ist, dass im Zusammenwirken von Materie nicht nur komplexe materielle Körper erschaffen werden, sondern zugleich auch komplexe geistige Konstrukte. Wenn ich z.B. mich im Raum umschaue, dann sehe ich einen Stuhl, einen Tisch, ein Glas, meinen Computer. Und doch sind alles eigentlich nur Ansammlungen von Atomen, die erst durch ihr spezifisches Zusammenwirken eben den jeweiligen Gegenstand ergeben. Der Panpsychismus geht extrem vereinfacht dargestellt nun davon aus, dass so wie auf materieller Ebene durch die komplexe Struktur der Atome die materielle Form des Tisches entsteht, auf einer geistigen Ebene die komplexen geistigen Qualitäten entstehen, die mit dem Tisch verbunden sind, und uns einen Tisch als solchen erkennen lassen, obschon es streng genommen kein Definitionsmerkmal für Tische gibt. (Allenfalls die Wittgensteinsche Familienähnlichkeit)
Ähnlich ist dies nun auch bei Lebewesen zu sehen. Der Mensch besteht aus Atomen. Diese Atome bilden Strukturen, z.B. eine einzelne Zelle. Mehrere Zellen bilden die Struktur z.B. eines Organs und im Zusammenspiel von Milliarden Zellen entsteht der Mensch als Lebewesen. Und wie nun die Atome auf materielle Ebene durch das Zusammenwirken neue Strukturen schaffen, die jeweils neue materielle Eigenschaften einnehmen und neue Funktionen übernehmen können, lässt sich die Möglichkeit denken, dass aus der einfachen geistigen Qualität eines Atoms im Zusammenschluss mit anderen auch neue geistige Qualitäten entstehen. Bis hin dass beim Menschen durch das Zusammenspiel all dieser Qualitäten in dieser komplexen Form Bewusstsein und das Denken entsteht. Die einfache Zelle unseres Körpers schickt ein einfaches elektrisches Signal – und durch den Verarbeitungsprozess in unserem Körper und unserem Gehirn entsteht letztlich durch zunehmende Komplexität ein entsprechend komplexes Erleben des Scherzes, dass über das reine elektrische Signal hinaus geht, ja das auch Placebo- und Noceboeffekte erleben kann in denen elektrische Signale gar nicht vorkommen. Diese komplexe geistige Struktur entsteht aber eben nicht getrennt von der Materie, sondern mit ihr zusammen. Der Mensch ist also im wahrsten Sinne des Wortes aus "Staub" erschaffen – sowohl im körperlichen als auch im geistigen Sinn. (Der Panpsychismus spricht in diesem Zusammenhang tatsächlich auch vom "Geiststaub") Die rein materiellen Eigenschaften und die geistigen Eigenschaften sind dabei sozusagen die beiden Seiten einer Medaille. Oder vielleicht in Anlehnung zum Atom besser mit einer hohlen Kugel verglichen die Außenseite (Materie) und die Innenseite (Geist). Du kannst sie aber nicht voneinander trennen, denn würdest du von einer solchen Kugel versuchen die Außenseite oder aber die Innenseite abzutragen, bliebe weder das eine noch das andere. Der Würfel würde einfach nur zerstört werden und aufhören zu existieren.
Nun spielt im Panpsychismus Gott nicht zwingend eine Rolle. Besser gesagt man kann den Panpsychismus mit und ohne Gott denken. Wenn man ihn mit Gott denkt, dann könnte man Gott folglich als jene geistige Entität verstehen, die aus dem komplexen Zusammenspiel des gesamten Universums entstehen würde. D.h. er wäre die allumfassende Einheit, allgegenwärtig – und mit uns ebenso verbunden wie zugleich von uns völlig unabhängig wie es unser Bewusstsein gegenüber unseren einzelnen Zellen ist. Es gäbe nichts außerhalb von ihm und nichts käme ihm gleich, denn es kann nur ein „All-Eines“ geben. Alles was geschaffen ist, wäre aus ihm geschaffen, er wäre damit auch der Urgrund allen Seins – und auch aller geistigen Qualitäten und Werte. Ein Urgrund zu dem wir als Menschen, als Wesen mit entsprechend geistiger Komplexität Zugang haben können. Nach dem wir eine Sehnsucht empfinden, die ebenfalls Teil unserer geistigen „Natur“ ist. Ein Bewusstsein dem wir uns öffnen können, wenn wir bemüht sind uns nicht als „Ich“, den anderen als „Du“ und Gott als „das gegenüber“ zu erkennen, sondern uns dessen bewusst werden, dass wir in Gott ruhen, Teil seines Wesens sind und immer schon waren. Wenn wir die Grenzen unseres Bewusstseins, versuchen durchlässig zu machen für das Bewusstsein des großen Ganzen. ….. Aber ich gebe zu, spätestens hier wird es zunehmend abstrakt und auch spekulativ bzw. theologisch. Das meine ich nicht wertend – ich will damit nur die Grenze zwischen dem Panpsychismus als philosophisches Konzept und seiner theologischen Deutung bzw. Anwendung auf den Bereich des Religiösen (für den er ebenso sehr fruchtbar sein kann) voneinander abgrenzen. Das Konzept ist als solches auch nicht wirklich neu, aber durch die Verschränkung von Geist und Materie als Einheit, entfallen viele Probleme die ansonsten gedanklich im Geist-Materie-Dualismus entstehen.
So… und nur abschließend…. für das Thema der Reinkarnation würde dies aus dieser Perspektive bedeuten, dass die Wiedergeburt einer Seele als einem „geistigen Komplex“ unmittelbar auch mit der Wiederentstehung des dazugehörigen materiellen Komplexes gedacht werden muss. Dies könnte rein hypothetisch möglich sein, sofern sich dieselbe materielle Struktur wiederfindet. Ein anderer Körper ist aber eben eine andere materielle Struktur – und entspräche daher eben einer anderen „geistigen Wesenheit“.
Nun ja, es sind etwas mehr als zwei Sätze, aber ich hoffe es gibt einen zumindest sehr groben Überblick. Aber wie gesagt – bedenke dass aufgrund der Kürze es notwendigerweise zu einer Vereinfachung kommt, die teilweise ungenau ist. Ich habe mich aber für dich mal umgehört… es gibt einen Autor aus Berlin, der wohl ein eher populärwissenschaftliches Buch zu diesem Thema geschrieben hat, in dem er versucht das Thema auch für philosophische Laien verständlich aufzuarbeiten. Wenn du magst kann ich dir den Titel gerne heraussuchen und ihn dir schicken.
Liebe Grüße
Lior
Es sei bitte berücksichtigt, dass meine Besuche zeitweise durch lange Pausen unterbrochen werden. Sollte ich also eine an mich gerichtete Frage überlesen, bzw. nicht unmittelbar beantworten, dann ist dies bitte nicht als Ausdruck des Desinteresses zu werten - ggf. hilft auch mal eine Erinnerung.
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