Schönen guten Morgen,
starangel schrieb: Korrekterweise müsst doch jener Tag als grösster und wichtigster Tag der Christenheit, ja der Menschheit allgemein gelten, an welchem Jesus von Nazareth sich von Johannes taufen liess, von Gott mit Hl. Geist gesalbt(gezeugt) wurde und anfing, die Wahrheit über den Willen des all-einigen Gottes, den er Vater im Himmel nannte zu verkündigen.
Das finde ich einen wirklich wunderschönen und auch sehr tiefsinnigen Gedanken, weil er einerseits die Liebe Gottes zu den Menschen bereits vorösterlich wunderbar zum Ausdruck bringt, andererseits aber auch noch innerjüdisch das Spannungsverhältnis zwischen Gesetz, Sünde, und Sündenvergebung thematisiert. Ich versuch mal ganz knapp zu skizzieren was ich damit meine:
Der christliche Glaube ist ja ein bisschen ein seltsamer Glaube, weil er sich aus einer anderen Religion heraus und in Auseinandersetzung mit zwei geistigen Hauptströmen entwickelt hat. Für gewöhnlich schenken viele Christen dieser Tatsache aber nur wenig Beachtung und deshalb kommt es leider immer wieder zu Missverständnissen und den unterschiedlichsten Grabenkämpfen.
Zunächst einmal muss man theologisch unbedingt zwischen vorösterlichen Jesus und nachösterlichen Christus unterscheiden. Das ist wirklich ganz wichtig, weil der Jesus vor Ostern zuvorderst im Hinblick auf die erste geistige Hauptströmung des christlichen Glaubens hin verstanden werden muss und das ist das Judentum, oder der jüdische Geist. Der Christus nach Ostern hingegen ist von Beginn an und dann im Laufe der Jahrhunderte auch immer stärker werdend, mit der zweisten geistigen Hauptströmung des christlichen Glaubens in Verbindung gebracht worden. Und das ist der hellenistische, griechische und philosophische Geist.
In der Bibel drückt sich dies z.B. so aus, dass die ersten drei Evangelien (Matthäus, Markus und Lukas) immer den vorösterlichen Juden Jesus zu Wort kommen lassen. Im Johannesevangelium hingegen begegnet uns von Anfang an der nachösterliche und schon stark philosophisch interpretierte Christus, der mit dem historischen Jesus aus Nazareth weit weniger zu tun hat, als bei Matthäus, Markus und Lukas.
Kurzes Beispiel: Der historsiche Jesus wird mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit niemals gesagt haben, was Johannes ihn im 3.Kapitel seines Evangeliums sagen lässt: "Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengeht, sondern ewiges Leben hat."
Dieser Satz ist völlig "christuszentriert" und hat mit dem Wanderprediger Jesus, der sich den Armen und von Nöten geplagten Menschen zuwendete, nur wenig bis gar nichts zu tun. Dementsprechend findet man ihn auch nur bei Johannes, weil Johannes weniger über den historischen Jesus, als vielmehr über den auferstandenen Christus berichten mag. Genauso macht es übrigens Paulus, der ja den historischen Jesus auch gar nicht persönlich kannte, sondern dem der Auferstandene Christus vor den Toren von Damaskus in einer Vision begegnete.
Man sollte daher diesen Unterschied in der Erzählweise und hinsichtlich der Perspektive innerhalb derer auf Jesus geblickt und über ihn berichtet wird, bei seiner Bibellektüre und -interpretation unbedingt beachten, sonst macht man sich selbst das Verständnis schwer und rutscht fast notwendig in irgendwelche ideologischen Vorstellungen hinein.
Der Grund, weshalb im Christentum nun Ostern als großes Freudenfest gilt, liegt genau in dem Spannungsverhältnis aus vorösterlichen Jesus und nachösterlichen Christus begründet, das ich kurz darzustellen versuchte. Denn in der Kreuzigung, bzw. im Osterereignis begegnen sich sozusagen historischer Jesus und auferstandener Christus. Jüdischer Geist und hellenistischer Geist geben sich sozusagen einen Kuss und nehmen sich in den Arm.
Der Karfreitag, also der Tag der Kreuzigung, ist tatsächlich auch für Christen ganz klar ein Trauertag! Hier nimmt der historische Jesus quasi sein Ende und das ist wirklich eine Katastrophe, weil es nicht hätte sein müssen und weil dort am Kreuz ein gerechter, unschuldiger und ganz wunderbarer Mensch starb. Der Samstag darauf, als Jesus in seinem Grab lag, symbolisiert die Sabbathruhe und ist ganz klar noch stark jüdisch geprägt. Aber die Auferstehung am dritten Tag, ist dann für Christen wahrhaftig ein Feiertag, weil Gott den Menschen Jesus nicht dem Tod überlässt, sondern ihn auferweckt und damit bestätigt, dass auch der Tod den Menschen niemals von Gottes Liebe trennen kann. Und für exakt diese unverbrüchliche, ewig bestehende Liebe Gottes zu den Menschen, steht dann der auferstandene Christus (Paulus berichtet im 8.Kapitel des Römerbriefes sehr schön darüber).
Die Schönheit deines Gedankens, dass eigentlich die Taufe Jesu der wichtigste Tag im Christentum sein sollte, liegt nun gerade darin, dass er sich völlig auf den historischen Jesus bezieht und damit fest verwurzelt und über jeden Auferstehungsglauben hinaus, die Liebe Gottes zu den Menschen ins hier und jetzt verlegt! Wirklich ganz wunderbar, weil hier alle thelogischen Diskrepanzen zwischen jüdischen und hellenistischen Geist mit einem Schlag überwunden werden, sich der Himmel über uns öffnet und an uns alle der Ruf der Taufe Jesu ergeht: "Du bist doch mein geliebtes Kind!"
Denn genau das war es ja, was Jesus bei seiner Taufe bewusst wurde! Er ließ sich von dem sehr frommen und stark asketisch lebenden Nasiräer Johannes taufen, der absolut vorbildlich nach den mosaischen Gesetzen lebte und zur Umkehr und Buße über begangene Sünden aufrief. Doch anstatt es wie Johannes zu tun, verharrte Jesus nicht in einer weltverneinenden Haltung, die ihn im Bewusstsein seiner Schuldhaftigkeit und in Kombination mit der Last der mosaischen Gesetze dazu nötigte, ein Nasiräergelübde abzulegen und immer und immer wieder, regelrecht verzweifelt, um Gottes Gnade zu betteln, sondern ihm tat sich der Himmel auf, alles wurde weit und frei und unbeschwert und eine Stimme sprach zu ihm: "Du bist mein geliebter Sohn! An dir habe ich wohlgefallen!"
Wenn die Christen zunächst einmal dieses Ereignis wirklich in der Tiefe verstehen und nachspüren könnten und in diesem Bewusstsein ihr Leben leben würden, wäre ich davon überzeugt, dass das Christentum ein anderes wäre, als es uns heute vielerorts begegnet. Und vielleicht würden uns die Menschen dann auch wieder besser verstehen und uns zuhören wollen, wenn wir die Geschichte von Jesus Christus erzählen würden....?
LG
Provisorium
Gott ist ein Gott der Gegenwart. Wie er dich findet, so nimmt und empfängt er dich, nicht als das, was du gewesen, sondern als das, was du jetzt bist. (Meister Eckhart)
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