Marcion war seiner Zeit allerdings 100 Jahre voraus und noch war der Einfluss der Judenchristen stark genug um Marcion die Stirn zu bieten, Rom zum Handeln zu bewegen und sie hatten zudem einen Verbündeten, die Alexandriner Kirche – die mächtigste Kirche damals, welche die Macht und den Einfluss der römischen Kirche brechen wollte. Marcion wurde zum Ketzer erklärt, doch sein Kanon wurde die erste Grundlage für eine Entstehung eines christlichen (N.T) Kanons, dessen Bildung und letztendliche Endredaktion erst im 4. Jahrhundert abgeschlossen war. Wir reden also hier über eine Zeitspanne von über 300 Jahren!
Marcion erreichte jedoch eins, Paulus wurde nun endgültig wieder salonfähig ja mehr noch, für Heidenchristen z.B. die Alexandriner (welche sich schon vorher von jüdischen Überlieferungseinflüssen abwandten – Jahonnesgut), Gnostiker, Hellenisten, etc fanden in Paulus ihren theologischen Vertreter und nicht in judenchristlichen Ansichten. Der Siegeszug des paulinischen und johannischen Schriftgutes begann nun endgültig und wurde zur vorherrschenden Theologie.
Bei all dem Gesagten muß man immer die Komplexität vor Augen haben, welche historische und politische Aspekte in sich einschließt. Durch das verschwinden des Judenchristentums ergab sich für die Heidenkirche eine gänzlich neue Situation und Zielsetzung. Zugleich rückte eine Naherwartung der Wiederkunft Jesu völlig in den Hintergrund, was zur Folge hatte, dass man sich strukturiert organisieren und mit den gegebenen Verhältnissen arrangieren musste, um nicht das gleiche Schicksal wie die der Judenchristen zu erleben. Und genau das erforderte auch einen völlig neuen theologischen Ansatz, der Nicht mehr auf „Messianismus“ ausgerichtet war, sondern auf eine Kultgemeinschaft und hier bediente man sich äußerst freizügig in der Welt, in der die „Heidenkirche“ entstand und bestand, im Hellenismus. Nicht das Judentum war Zielobjekt, sondern die Welt und aus aller Welt strömten Menschen und deren Einflüsse hinzu. Und genau hier setzte Paulus bereits an, ein Evangelium, in dem sich alle Widerfinden können, ein Evangelium, das keine Grenzen oder Einschränkungen mehr kennt und formbar und dynamisch bleibt.
Die Kirche hatte in seiner weiteren Geschichte ihre eigenen Kämpfe auszutragen, gegen Gnostiker, die Alexandrienische Kirche und konkurrierende Kulte und sie schaffte es tatsächlich – teils Friedlich – teils mit Gewalt alle - in ihrem Einflussbereich - unter einen Hut zu bekommen. Dieser Prozess begann bereits bei Paulus und sollte noch fast 500 Jahre dauern.
So, ich kann eigentlich nicht mehr an „Allgemeingut“ beisteuern, denn diese Thematik ist so komplex und bedarf wirklich einer genauen historischen Darstellung, um wirklich die vielen Fassetten dieser Entwicklungen – bis hin zur Kanonsbildung und dessen Redaktionseinflüssen auf das inhaltliche Schriftgut des N.T. zu beleuchten.
Die Tragweiter von 500 Jahren Entwicklungsgeschichte, von der Urgemeinde zur Frühkirche und der ersten unfassenden kath. Kirche ist nur schwerlich in 500 Seiten zusammen zu fassen. Gleiches gilt für die Kanonsbildung und die Entwicklung des Schriftgutes des N.T.. Auch hier muß man sagen, 400 Jahre kann man kaum auf ein Forum projizieren.
Eigentlich, so meinte ich einstmals, müsste ein gewisses Grundwissen über diese so wichtige Entwicklungsgeschichte – als Basiswissen den Anhängern und Gläubigen dieser Religion in unserer heutigen Zeit vermittelt werden, schon im Eigeninteresse der Religion, was sicher auch auf Grund historischer Entgleisungen und Fehlentwicklungen „Selbstüberwindung“ kosten würde, doch es bleibt leider auf Fachbereiche beschränkt. Somit bleibt eigentlich nur für Interessierte der Weg übrig sich selbst ein Bild davon zu machen, was ein gewisses „Eigenstudium“ historischer Quellen voraussetzt, die jedoch sehr gut zugänglich sind. Allerdings ist oft in dessen Folge die entschiedene Abwendung von dieser Religion und gewissen Glaubensinhalten zu beobachten und das nicht nur bei Laien, sondern gerade bei entsprechen Wissenschaftlern. Im gleichen Atemzug ist allerdings auch zu beobachten, wie immer deutlicher Kirchen Geschichtsverdrängung betreiben und im Gegenzug eine Biblisierung betrieben wird. So als wenn diese Entwicklungsgeschichte keinen Einfluss auf genau diese Bibel hätte. Ja in bestimmten christlichen Kreisen geht man mittlerweile sogar soweit, diese christliche Frühgeschichte als nichtchristlich zu bezeichnen. Welch eine Paradoxie.
So nun gut aber damit.
Absalom
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