Lieber Tomkat, hier mal eine kleine Einführung zum Johannesevangelium, die auf deine Nachfrage eingeht.
Heerscharen von Theologen, Schriftforschern und Philosophen, haben sich schon diesem seltsamen Evangelium gestellt. Es wirft in sich so viele Fragen nach der geistigen Herkunft auf, es zitiert aus so vielen antiken philosophischen Schriften, es argumentiert gänzlich anders als alle anderen biblischen Schriften, es bezieht sein Wissen aus uns nicht bekannten Quellen, so dass man sich fragt, wer sind die Verfasser dieser Schrift, welche eigentlich aus mehren Teilen besteht (im griechischen ist es noch deutlich sichtbar) und für welche Gruppe von Menschen wurde diese Schrift verfasst, dessen Wortschatz und philosophische Begriffswelt weit über die Umgangssprache hinaus reicht.
Es bedarf nicht viel um zu erkennen, dass das Johannesevangelium sich ganz wesentlich von den drei Evangelien unterscheidet. In Form und Inhalt haben wir es hier mit einer ganz anderen Literaturgattung innerhalb des Schrifttums der Apologetik zu tun. Nennt man Markus, Matthäus und Lukas die Synoptiker (Zusammengeschauten), da sie alle in ihrem Wesen und in ihrer Gestallt, doch auf einem Grundtext fußen, so begegnet uns im Johannesevangelium eine ganz neue und andere Sichtweise Jesu. Finden wir bei den Synoptikern Spruchreihen, die inhaltlich zur Toraauslegung Stellung beziehen, ethische Unterweisungen, politische Reden, Gleichnisse vom Himmelreich, bis hin zu den Leidensankündigungen, so werden wir vergeblich bei Johannes danach suchen. Gleiches trifft im Wesentlichen auch auf die Wunder Jesu zu. Redet in den Synoptikern Jesus hauptsächlich vom himmlischen Vater, so spricht er bei Johannes fast nur noch über sich selbst, im Stil einer Selbstoffenbarung (ich bin….) und in ganz sublim klingenden Monologen, die sich hauptsächlich um sein metaphysisches Dasein drehen. Die Selbstbescheidenheit Jesu bei den Synoptikern (z.B. Was nennst du mich gut…..), tritt bei Johannes gänzlich zurück. Noch deutlicher wird das gesagte, wenn man sich die Distanz zum Judentum anschaut, welche bei den Synoptikern so nicht zu Tage tritt. Der jüdische Kult erscheint als fremde Größe, der mit Skepsis betrachtet wird. Allein schon die Begrifflichkeit „die Juden“, welche Jesus selbst in den Mund gelegt wird, hebt literarisch die Entfremdung Jesu aus seinem Volk hervor. Der Jünger Jesu wird pauschal „dem Juden“ gegenüber gestellt ( 5.15, 7.11-13, etc.), was deutlich unjüdische Gesten zu Tage treten lassen. Dennoch sind das rabbinische Judentum und hier insbesondere die Lehrtradition bekannt. Ein ganz deutlicher Hinweis auf das Diasporajudentum, welches kritisch betrachtet wird, indem das Judentum pauschal dem Pharisäismus gleich gestellt wird (z.B. 7.1.13 mit 7.32, etc.).
Mit dem Eingangsprolog wird zugleich die eschatologische Bedeutung Israels gänzlich aufgehoben. War es noch den Synoptikern wichtig, Jesus als Sohn Israels darzustellen, wird er gleich zu Beginn des Johannesev. zum Himmelssohn, der allem irdischen entledigt ist ausgewiesen. Doch finden sich auch Berührungspunkte, die ganz deutlich nach Qumran verweisen. Der ausgeprägte Dualismus Licht – Finsternis, ist auch bekannt aus den essenischen Schriften.
Die inhaltlichen Verschiedenartigkeiten werden heute damit erklärt, dass dieses Evangelium aus verschieden Texten besteht, die zu einem Gesamtwerk zusammengefasst wurden. Hieraus erklären sich auch die verschiedenen Stilbrüche, die doch sehr gravierend hervortreten (verschiedene Arten philosophischer Begrifflichkeiten aus verschiedenen Regionen). Zitat Jerusalemer Bibel: Das Evangelium ist das Ergebnis eines längeren Überlieferungsprozesses und enthält Elemente aus verschiedener Zeit, Bearbeitungen, Zusätze, verschiedene Redaktionen aus ein und derselben Überlieferung. Deutlich wird das am Endprolog 21/ 20 – 24.
Über die Herkunft des Evangeliums streiten sich noch immer die Gelehrten. Ältester Beleg für die Existenz stammt aus einem Papyrusfund in Mittelägypten. Wohl haben die Kirchenväter die Niederschrift allein auf Grund eines Berichtes des Irenäus (um 180) nach Kleinasien verlegt und zugleich dem Apostel Johannes dieses Evangelium zugeschrieben, doch gibt es bereits aus gleicher Zeit berechtigte Zweifel daran. Schon um im 2/3. Jahrhundert wird auf Art und Stil, Begrifflichkeiten und Fachwörter hingewiesen die typisch alexandrienisch, also ägyptischen Ursprungs waren. Zudem widersprach dieser Ansicht die Aussage anderer Kirchenväter (Papias, etc.) über den gemeinsamen Tod der Zebedäussöhne.
Zum anderen lassen sich aber ganz ohne Zweifel auch Einflüsse aus dem Diasporajudentum – hellenistischen Judentum erkennen, die nach Kleinasien verweisen. Einen noch deutlicheren Hinweis gibt uns Irenäus selbst, indem er dieses Evangelium als Kampfschrift gegen den Gnostiker und Philosophen Kerinthos (um 130) bezeichnet (was ein Alter des Apostel Johannes von über 110 Jahren voraussetzt!). Hier finden wir auch den Schlüssel zur Verlagerung des Evangeliums nach Kleinasien, denn Kerinthos wirke in Kleinasien. Es muss davon ausgegangen werden, dass der Ursprung des Evangeliums wohl in Alexandrien zu suchen ist und seine Vollendung in Kleinasien fand.
Schon früh erkannte man gewisse Abhängigkeiten zu Philo von Alexandrien, einem jüdischen Philosophen, der die mosaische Religion mit der griechischen Philosophie zu belegen und auch versöhnen suchte. Die Argumentationsformen sind sich erstaunlich ähnlich und auch die geistige Verwandtschaft lässt sich nicht leugnen, wenn man allein schon den Eingangsprolog betrachtet, dessen geistiger Vater Philo ist. Die hellenistischen Begrifflichkeiten weisen ebenso auf Philo hin, wie die Mirakelhaften Wunderdarstellungen. Hier kommen wir auch zu der eigentlichen Bedeutung dieses Evangeliums, welches nicht für den einfachen Feldarbeiter oder Arbeiter geschrieben war, sondern für die Kenner hellenistischer - jüdischer Philosophie, wie vom Schlage eines Kerinthos. Dafür spricht nicht nur die unglaubliche Vielzahl der griechischen Philosophenbegriffe, insbesondere hier in Anlehnung zu Platon, sondern eben auch die Kenntnisse der rabbinischen Lehrmethodik und Geistesströmungen im Judentum des 2. Jahrhunderts. In diesen beiden Richtungen finden sich alle Elemente des Johannesevangeliums wieder, was zu der heftigen Umstrittenheit des Evangeliums schon in frühester Zeit geführt hat. Die Frage Tertullians, was hat ein griechischer Philosoph mit Jesus zutun, spiegelt deutlich das Problem damaliger Zeit wieder, nämlich das Christentum auch den gelehrten Kreisen zugänglich zu machen, waren es doch hellenistische Philosophen die zu den größten Gegnern des Christentums geworden sind.
Das Johannesevangelium wurde genau aus dieser Bedeutung heraus, als Kampfschrift und Überzeugungsschrift, trotz heftiger Widerstände, insbesondere der Vertreter des Volkschristentums und der Lateiner, in den Kanon der Bibel aufgenommen. Damit wurde zugleich der Weg für die christliche Philosophie, die bereits im 3 und besonders im 4 Jahrhundert seine erste Blütezeit erlebte legitimiert.
Samu
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