Lieber Isaak,
in meinen Augen ein wirklich guter Beitrag von dir.
Er wirft so unendlich viele Fragen auf und stellt das Ansinnen – auch von mir – berechtigter Weise in Frage. Zumindest empfinde ich es so und das ist in meinen Augen ein Positivum.
Natürlich ist mir bei all meiner Argumentation klar, dass dies immer nur kleinste Ausblicke in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sein können. Doch trotz dieser Erkenntnis müssen wir Menschen auch immer den Focus auf unsere Vergangenheit lenken, damit wir Zukünftiges eventuell anders gestalten können, was wir allerdings nur schwerlich vermögen. Die Probleme der Menschheit mit sich selbst sind noch immer die Gleichen wie in der frühen Bronzezeit (Beginn der Bibelgeschichten) und sicher auch davor.
Noch ein Fakt ist mir jedoch wichtig und es war einst das Buch Kohelet, welches mich dazu animierte. Es war seine pessimistische Rückschau, Gegenwartsanalyse und Ausblicke auf die Zukunft (Stichwort: Windhauch). Dieser Pessimismus, der sich letztlich darin äußert, dass er zu der fundamentalen Erkenntnis gelangt: „Es gibt nichts Neues unter der Sonne, es wird auch nie etwas Neues geben, was nicht schon da wäre…“; verschaffte in mir die Neugier diese Aussagen des Kohelet zu überprüfen. Ja, und hier trifft man doch auf ganz Erstaunliches, wenn man sich gerade der Religionskunde zuwendet. Da tauchen plötzlich viele Noahs oder Henochs, Mosese, Jesuse, etc auf, die in ihrem Wirken und selbst in ihrer Gestalt in anderen Kulturen zu religiösen Größen erwachsen. Noch erstaunlicher ist, dass diese Erfahrung insbesondere antiken Autoren schon aufgefallen ist, ja es zu ihrer Zeit schon eifrige Diskussionen über dieses "Phänomen" gibt. Noch deutlicher trifft dies auf religiöses Brauchtum und Glaubenslehren zu. Das wirft natürlich ganz viele Nachfragen auf. Doch noch etwas wird hier zum Diskussionsgrund, nämlich der Eigenanspruch aller Religionen nach göttlicher Exklusivität und dem Offenbarungswirken Gottes.
Um dies einmal ganz praktisch zu veranschaulichen: Die Gebote Gottes hat Moses von Gott bekommen, ganz exklusiv für Israel, laut Bibel. Doch all diese Gebote gab es längst vor Moses, nämlich von Babylon bis Ägypten verbreitet. Sicher nicht in dieser komplexen Anordnung, aber doch substantiell waren sie Kultur- und Religionsgut aller Religionen im fruchtbaren Halbmond. Nun kann man sagen, Gott gab Moses diese Gebote, weil sie Gott auch schon vorher anderen Völkern gab und was für andere Völker gilt sollte auch für Israel gelten, doch exklusiv ist das dann nicht gerade. Man könnte auch sagen, diese ethischen Grundlagen entsprechen menschlichen Bedürfnissen für ein gemeinschaftliches Dasein, dass erkannte Moses und für ihn war klar, es ist im Sinne Gottes seinem Volk diese Gebote mit auf den Weg zu geben. Allerdings fragt sich dann, warum dieser ganze „Budenzauber“ um die Mosesgeschichte, inkl. brennenden Dornenbusch, Feuersäule, heiliger Berg etc, etc. Bedarf Gott solcher Hokuspokusgeschichten oder treffen wir hier nicht vielmehr auf eine Geschichte, die ebenfalls so schon in anderen Kulturen existierte und so Eingang in die Bibel fand. Letzteres lässt sich übrigens aus vielen frühantiken Kulten berichten. Selbst bei den Religionen Süd- und Nordamerikas finden sich Heilige feurige Berge, brennende Büsche, Gebotsanweisungen, etc. Man könnte jetzt die Bundeslade, das Stiftszelt, den Tempel, Kultgegenstände und vieles mehr anführen, was in anderen Kulten sein identisches oder ähnliches Gegenüber hatte.
Eventuell ist ja so, dass wir in allen Religionen deshalb immer wieder auf ähnliche oder gleiche Helden, Kultgüter, Kulturgüter, Glaubensaussagen, etc treffen, weil sich Gott als Geschichtsgott immer wieder gleich allen Völkern in ganz ähnlicher oder gar gleicher Weise offenbart, allerdings Menschen im Verlauf ihrer Geschichte dann diese Grundoffenbarungen auf ganz eigene Bedürfnisse verändern. Und eventuell können wir Menschen gar nicht anders, als diesen Unfassbaren Gott in ganz menschliche Mythen einzubinden, um ihn verständlich, bildlich, erfassbar, etc zu machen. Hier liegt übrigens der Grundstein für menschliche Erzähl- und Darstellungskunst.
Wenn dies so ist, was ist dann aber mit den Religionen und ihrem Exklusivanspruch die unmittelbare und einzigartig Wahre Offenbarung Gottes zu besitzen? Genau diese Frage lässt mich eben nicht am Glauben der Menschen zweifeln oder gar an ihren „Gotteserfahrungen“ – sie sind Privatsache, in meinen Augen, und immer auch Persönlichkeitsbezogen, sondern an der Legimitation jeder Religion, welche sich solches anmaßt und das tun letztlich ausnahmslos alle - inklusive ihrer heiligen Büchlein. Genau hier setzt auch die Religionswissenschaft mit ihrer Kritik an, indem sie letztlich sagt – ich sage es jetzt einmal sehr salopp – alle Religionen sind letztlich nur ein Aufguss früherer Religionen und deren Religionsgüter, die jedoch immer wieder neu aktualisiert, komprimiert und in integrativer Art und Weise strukturiert werden. Um auch das einmal kurz beispielhaft aufzuzeigen: So wurde aus der Urmutter der menschlichen Frühzeit ein Mutterkult, dann ein Isiskult und heute haben wir einen Marienkult. Alle diese Kulte sind in sich grundsätzlich gleich – bis hin zur bildlichen Darstellung. Und finden wir nicht in Abraham und Sara ein sehr urtümliches Bild vom Eingreifen Gottes in die menschliche Geschichte, indem Gott auf wundersame Weise aus einer uralten Frau ein Kind/Sohn hervorbringt, was in der Tat eine Vorlage zu anderen Kulten bildet, die von göttlichem Eingreifen bei der Zeugung von Gottesvölkern berichten (Summer z.B.). Und ist nicht auffällig, dass Abraham genau von dort entstammt? Was ist nun Mythos und was ist Zufall und was ist Geschichte und was ist Wahrheit? Und wie weit ist der Weg dann noch bis zu Gottmenschen, die auf wundersame Weise durch jungfräuliche Geistbefruchtung gezeugt werden? Die Vorlage dazu liefert die Bibel mehrfach, aber eben nicht nur, sondern alle Kulte im Fruchtbaren Halbmond – um sich hier einmal territorial zu beschränken.
Was haben sich nicht alles für Exklusivansprüche aus solchen Geschichten entwickelt, was für grenzenloses Unheil sind aus solchen Ansprüchen entstanden – bis hin zum Völkermorden, wie viele Zwischenmenschliche Hürden und Mauern wurden dadurch aufgerichtet, wie viele Religionskriege bis in unsere Zeit hinein legitimiert. Sollte man da nicht das Wesen von Religionen, ihr Kulturgut und ihren angeblichen Selbstanspruch und Wahrheitsgehalt in Frage stellen? Ich halte es für eine Pflicht und ich bin froh, dass die Epoche der Aufklärung den Menschen den Zugang zum Infragestellen eröffnete. Dass allerdings dadurch die Welt besser wurde, wird oder gar würde glaube ich nicht, aber sie wird sicher nicht schlechter, auch wenn das Religionsvertreter nur allzu gerne behaupten. Bonhoeffer sagte einmal treffend: „Vor und mit Gott leben wir ohne Gott.“ Eine Ursache für diesen Zustand sah er im leidlichen Versagen der Religionen, welche uns eben nicht die Freiheit zu Gott vermitteln, sondern religiöse Gängeleien wieder der menschlichen Natur – hin zu einem gefügigen Wesen religiöser Wertesysteme, die eben nicht dem Wesen Gottes –sprich Liebe – entsprechen. Doch bedarf Liebe einer Religion, oder bedarf Liebe der Freiheit?
Absalom
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