Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeigt, daß wir Gottes Kinder sollen heißen! Darum kennt euch die Welt nicht; denn sie kennt ihn nicht. Meine Lieben, wir sind nun Gottes Kinder; und es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, daß wir ihm gleich sein werden; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Und ein jeglicher, der solche Hoffnung hat zu ihm, der reinigt sich, gleichwie er auch rein ist. Wer Sünde tut, der tut auch Unrecht, und die Sünde ist das Unrecht. Und ihr wisset, daß er ist erschienen, auf daß er unsre Sünden wegnehme, und es ist keine Sünde in ihm. Wer in ihm bleibt, der sündigt nicht; wer da sündigt, der hat ihn nicht gesehen noch erkannt.
( 1.Johannes 3:1-6 Luther 1912)



Der Apostel Paulus schreibt an die Galater den kurzen, aber bedeutungsvollen Satz:
„Denn ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus“ (Gal 3, 26).

Auch Johannes sagt am Anfang seines Evangeliums: „Wie viele ihn aber aufnahmen,

denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben, die
nicht aus dem Blut noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind“ (Joh 1, 12-13).

Es bleibt immer ein Geheimnis,

warum Gott es dem einen gibt, Jesus Christus zu erkennen und an ihn zu glauben, und
dem anderen nicht. Es ist das Geheimnis der Erwählung, weswegen Johannes ausdrücklich feststellt, daß die Kinder Gottes nicht aus dem Willen des Menschen geboren werden. So wie ein Kind nicht gefragt wird, ob es geboren werden möchte, so fragt auch
Gott die Menschen nicht, ob sie seiner Kinder werden wollen. Er macht sie zu seinen
Kindern, weil er es will.

Das ist, wie Johannes in unserem Predigttext sagt, ein Akt der Liebe Gottes. Johannes
sieht, was er in Christus hat und kann nur staunen über die Liebe Gottes ihm und allen
Christen gegenüber: „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, daß wir Gottes
Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!“

Er ist beeindruckt von der unaussprechlichen Gabe, die Gott den Christen in Christus gemacht hat. Sie haben diese Gabe ja nicht

verdient, denn mit vollem Recht könnte Gott sie der ewigen Verdammnis preisgeben.
Auf diesem Hintergrund ist es eigentlich unbegreiflich, daß Gott die Menschen überhaupt rettet. Sie hätten diese Gabe nicht einmal gewollt, selbst wenn sie davon gewußt
hätten; Gott hat es ihnen vielmehr gegeben, daß sie Christus erkannten und an ihn
glaubten. Das zeigt, wie sehr Gott daran gelegen ist, seine Barmherzigkeit offenbar zu
machen.

Diese Hoffnung zu haben, hat Folgen für das tägliche Leben. Es bedeutet, daß der
Christ, wenn er wirklich dem Evangelium glaubt, dieses große Ziel seines Lebens stets
vor Augen hat. Nun sagt Johannes in unserem Predigttext: „Ein jeder, der solche Hoffnung auf ihn hat, der reinigt sich, wie auch jener rein ist. Wer Sünde tut, der tut auch
Unrecht, und die Sünde ist das Unrecht. Und ihr wißt, daß er erschienen ist, damit er die
Sünden wegnehme, und in ihm ist keine Sünde. Wer in ihm bleibt, der sündigt nicht;
wer sündigt, der hat ihn nicht gesehen und nicht erkannt.“

Der christliche Glaube entsteht ja auf dem Hintergrund, daß Gott uns durch sein Gesetz zur Einsicht führt, was

denn Sünde ist und daß wir gesündigt haben. Er hört ferner, daß Gott uns durch das
Evangelium verkündigt, daß er uns in Christus die Sünden vergeben hat und wir vor
ihm gerechtfertigt sind. Der Christ erkennt, daß Sünde böse ist und daß sie von Gott
trennt. Deshalb hat er kein Interesse, in sie einzuwilligen, sondern sie zu lassen. Dabei
kann es nicht darum gehen, daß er in diesem Leben einen Status der Sündlosigkeit erreicht. Er kann ihn nicht erreichen, sondern bedarf täglich der Vergebung. Seine Sündhaftigkeit wird mit der Bekehrung nicht aufgehoben. Sie ist so mit seinem Wesen verflochten, daß sie nur durch den Tod wirklich aufgehoben wird.