Hallo Digido,

herzlichen Dank für deine Erläuterungen hinsichtlich des "Fortschritts in der Gotteserkenntnis". Jetzt kann ich ein bisschen besser verstehen was du meinst.

Ich denke man kann dieses Thema mit einigem Recht unter der Fragestellung nach dem Gottesbild subsumieren, denn hinsichtlich des Gottesbildes gab und gibt es in der Tat die unterschiedlichsten Vorstellungen. Inwieweit diese jedoch einen tatsächlichen Fortschritt in der Geschichte erlebten, bleibt zumindest für mich persönlich fraglich.

Sicher hast du völlig recht und rennst damit bei mir auch offene Türen ein, dass aus unserer heutigen Situation heraus und aufgrund unserer naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, z.B. die Vorstellung eines Donner und Blitze werfenden Gottes absurd erscheint. Solche Vorstellungen lassen sich heutzutage nicht mehr sinnvoll vertreten, da sich Blitz und Donner auch sehr gut ohne die Einflussnahme irgendeines Gottes, rein natürlich erklären lässt.

Gleichwohl stellt sich mir in diesem Kontext jedoch die Frage, ob es in der Menschheitsgeschichte nicht vielleicht sowas wie eine "angemessene Vorstellung von Gott" gibt? Bitte lass mich das kurz erläutern:

Wir "Spätgeborenen" genießen heute das Privileg auf eine jahrtausendealte Kultur- und Religionsgeschichte der Menschheit zurückblicken zu dürfen und Vieles, was wir da rekonstruieren und entdecken, wirkt auf uns heute befremdlich, wenn nicht gar absurd oder eben auch grausam und barbarisch. Das ist nur logisch, weil wir heutzutage eben ein ganz anderes Weltbild haben und es für viele Phänomene des Lebens nätürliche Erklärungen gibt, die Gott im Grunde zunehmend überflüssig werden lassen.

In diesem Kontext spricht man dementsprechend ja auch gerne von einem "Lückenbüßergott", der solange für irgendwelche Phänomene als ursächlich angenommen wird, bis sich das Phänomen auch anders und ohne die Einflussnahme eines Gottes erklären lässt. Solch ein Gottesbild eines "Lückenbüßergottes" ist dann tatsächlich dem menschlichen Fortschritt unterworfen und verschwindet zusehends.

Die Frage ist jedoch, ob wir "Spätgeborenen" im Gegensatz zu unseren Ahnen tatsächlich auf "erhabenere Art und Weise", wie du es nanntest, unsere Gotteserkenntnis zum Ausdruck bringen können, oder ob wir vielleicht doch noch, ganz ähnlich wie "die Alten", einem "Lückenbüßergott" anhängen?

Ich meine, was hat sich denn konkret verändert? Das Weltbild der Menschen, oder das Gottesbild? Und im Zuge der Veränderung des Weltbildes, dann eben auch das Gottesbild, das dem jeweiligen Weltbild angepasst werden musste?

Wenn du z.B. den aristotelischen Gedanken eines "unbewegten Bewegers" als so viel erhabener, als z.B. die Vorstellung eines Blitz und Donner schmetternden Wettergottes betrachtest, muss man sich doch die Frage stellen, ob sich vielleicht nicht doch noch beide Vorstellungen unter der Kategorie eines "Lückenbüßergottes" subsumieren ließen? Und ich denke das kann man!

Was sich konkret veränderte war nämlich schlussendlich gar nicht das Gottes-, sondern das Weltbild, das dann eine Anpassung des Gottesbildes notwendig werden ließ, aber nicht wirklich die Kategorie veränderte, unter der man sich von Gott ein Bild und eine Vorstellung machte. Beides sind nämlich reduktionistische Ansätze, die Gott als Ursache verstehen. Einmal als Ursache dafür, dass es blitzt und donnert und einmal als Ursache dafür, dass überhaupt etwas im Kosmos in Bewegung gesetzt wurde.

Je nach Wissensstand der Menschen hinsichtlich der Phänomene des Lebens und der Welt, ist dann entweder die eine, oder die andere Vorstellung von Gott die angemessenere. Man hat aber schlussendlich nur das Gottesbild der jeweiligen Welterkenntnis angepasst, weshalb ich persönlich das jetzt nicht als "Fortschritt der Gotteserkenntnis" bezeichnen würde, denn es ist und bleibt ein "Lückenbüßergott", der nur solange Gott sein darf, bis man die ihm zugeschriebenen Verursachungen, auf andere, natürliche Art und Weise erklären kann.

Ich gebe dir aber insoweit recht, dass man es natürlich als Fortschritt betrachten muss, wenn der Mensch hinsichtlich seines Gottesbildes von Liebe und nicht länger von "Mord und Totschlag" spricht. Wobei "die Alten" höchstwahrscheinlich deshalb soviel von "Mord und Totschlag" gesprochen haben, weil ihre Welt davon geprägt war und "Mord und Totschlag" eben Teil ihrer Alltagserfahrung war und man die Alltagserfahrungen natürlich mit Gott in Verbindung bringen musste (und was man ja auch heute noch irgendwie macht/machen muss).

Der häufig als Ausdruck von (wenn nicht gar Aufforderung zur) Rache verstandene Satz: "Auge für Auge und Zahn für Zahn", den die Israeliten prägten, kann uns verdeutlichen, dass wir "die Alten" aus unserer heutigen Position heraus auch gerne mal missverstehen. Denn der Satz ist mitnichten ein Ausdruck von Rache und schon gar nicht eine Aufforderung dazu sich zu rächen, sondern vielmehr die Vorgabe Maß zu halten, um eben nicht einen erlittenen Schaden völlig unangemessen zu beantworten.

Deshalb tu ich mir insgesamt halt etwas schwer damit, einen wirklichen Fortschritt in der Gotteserkenntnis auszumachen. Wie du ja selbst festgestellt hast, gibt es ja auch heute noch Gläubige, die ein Gottesbild vertreten, in dem es völlig in Ordnung erscheint, dass man als Mensch, aufgrund irgendeines als Sünde bezeichneten Fehlverhaltens, für alle Zeit in einem Feuersee gequält wird, ohne jede Hoffnung auf Rettung. Und das sind in aller Regel Menschen, die selbst an einen Gott glauben, der die Menschen retten möchte. Seltsam!

LG
Provisorium