Teil 3
Für die Essener gab es keinen Grund sich außerhalb ihrer Gemeinschaft um die Hilfsbedürftigen zu kümmern, denn durch die Vorherbestimmung Gottes war klar, wer zu den Söhnen (Töchtern) des Lichtes gehörte und wer nicht. Man musste lediglich die Botschaft den Menschen (auch eventuellen Feinden) nahe bringen, um herauszufinden wer zu der erlauchten Gemeinschaft gehört und wer nicht. Diesen half man dann freilich in überaus barmherziger Weise.
„Ewiger, geheimer Haß gegen die Männer des Verderbens, ihnen den Besitz zu lassen und den Erwerb der Hände, wie ein Sklave dem, der ihm gebietet und der Demut erweist dem, der über ihm herrscht. Doch jeder sei gleichzeitig mit Eifer bedacht auf die Vorbestimmung und ihre Zeit, auf den Tag der Rache!“ (I QS 9/ 21 – 26)
Geheimer Haß, der nicht offen gezeigt wurde, prägte das Wesen des Esseners gegenüber seiner Umwelt. Haß gehörte zum Glaubensinhalt und zur Grundeinstellung eines jeden Esseners.
Doch bevor wir weiter auf das Thema Haß und Liebe eingehen möchten wir uns einen Einblick darüber verschaffen, warum die Essener so radikal dachten.
Die Essener verstanden sich als das wahre Israel (ein Satz der auch aus dem Christentum hinlänglich bekannt ist) und folglich auch als einzig wahre Religion auf dem Erdenkreis, als Söhne des Lichtes, die von Gott auswählt waren. Sie waren die Guten, die Anderen, die ihre Botschaft nicht annehmen wollten, die Bösen. So einfach dieses minimalistische Weltbild auch erscheinen mag, so sahen es die Essener. Wer ihre Botschaft ablehnte, der galt als verdammt von Gott.
Genau dieses Glaubensbild stellte die Essener – wie auch andere Religionen die eine solche Glaubensansicht vertreten – vor ein großes Problem. Wie kann ich im Alltag meine Absonderung von der bösen Welt leben und anderseits diese böse Welt für meinen Glauben gewinnen? Einblick auf diese Frage geben uns sehr aufschlussreich die Zeitzeugen der Essener wie z.B. Philo, Josephus, Plinius, etc, die davon berichten, wie liebevoll und herzlich die Essener den Menschen erscheinen. Sie besonders höfliche Gastgeber sind, die nicht einmal die Gasttischgemeinschaft mit Heiden meiden. Wie passt dieses überaus freundliche Bild, welches Zeitzeugen geradezu in idealisierter Weise von den Essenern überliefern zu den Schriften der Essener? Das „Zauberwort“ heißt hier Mission. Die Essener standen in dem Spannungsbogen einerseits abgesondert von der Welt leben zu müssen, die Söhne und Welt der Finsternis zu meiden, ja nicht einmal Geld von dieser Welt zu benutzen und auf der anderen Seite genau diese Welt für sich zu gewinnen. David Flusser fasst dieses Verhalten folgender Maßen zusammen: „Ich täusche ihn mit Liebe. Nun, ich bin nett zu ihm. Ich behandle ihn mit Liebe und ich behalte das Recht, dies weiterhin zutun.“ (D.E.A. Seite 34)
Um der Sache Willen (Mission) ist man kompromissbereit, verliert die Sache ihren Sinn, dann zeigt sich die wahre Seite der Essener, die auf radikale Ablehnung und Ignoranz hinausläuft. Man hat kein Problem den Verlorenen verloren sein zu lassen, denn dieser ist dann von Gott eben nicht auserwählt. Um der Sache Willen kann man durchaus dem Heiden auch einmal ein Heide werden, aber wenn der Heide nicht sich als Erwählter erweißt, so muß man sich von diesem in aller Abscheu abwenden, denn er ist ein Sohn der Finsternis. Söhnen der Finsternis Barmherzigkeit zu erweisen ist folglich auch zugleich ein Dienst an ihrem Mammon, es sei denn, man kann diesen aus den Händen der Finsternis entreißen.
In dem religiösen Weltbild der Essener steht nicht der Mensch als solches im Mittelpunkt, sondern in erster Linie das Missionsobjekt – der Sohn der Finsternis oder der Sohn des Lichtes. Um zu verstehen, wieso Essener einen solchen (eingeschränkten) Blickwinkel hatten muß man sich ihr religiöses Weltbild und auch Wertebild vergegenwärtigen. Dazu möchte ich einmal am Beispiel der Jonageschichte die zwei grundlegenden jüdischen Sichtweisen zu dieser Geschichte aufzeigen:
Die rabbinischen Schulen sagen: Gott sieht alles und bestimmt alles, aber der Mensch ändert das Geschick, wenn er Gutes und Böses tut. Wenn der Mensch Reue tut, wie z.B. in Ninive, so kann Gott seine Absichten ändern und die Geschicke in den Einklang mit den Menschen stellen. Gott ist so allmächtig, dass dies kein Problem für ihn ist. Die essenische Schule sagt hingegen: Gott ist so allmächtig, dass er bereits im Voraus wusste, dass Ninive sich zu Gott umwenden wird, Jona war nur Mittel zum Zweck. Gottes Allmacht wäre eingeschränkt, wenn Gott seine Absichten dem Menschen anpassen würde.
Für die Essener war klar, dass alles nach einem geheimen Gottesplan verlaufen muß (1. QS 3, 5 -16), etc). Es gab für sie nicht nur die sog. göttliche Fügung, sondern die Vorherbestimmung. Diese letzte Lehre lehnte der Rabbinismus und in dessen Vorfeld der Pharisäismus rigoros ab, hingegen sich die Sadduzäer weder auf das Eine noch das Andere festlegen wollten.
Doch woher hatten die Essener diese Gewissheit, die ganz besonders im Calvinistischen Christentum seine größten Befürworter fand und sich besonders in charismatischen Kreisen der USA zu einer neuen Lehrblüte entfaltet? Der Hintergrund dazu liegt in Persien und hier im Dualismus des dortigen Religionsverständnisses. Ein Dualismus freilich, der in abgewandelter Form bei den Essenern zu Tage tritt und in seinem Wesen auch alexandrienische Züge trägt und fast identisch vom Christentum und hier insbesondere von Paulus vertreten wurde. Es ist die Aufteilung der Welt in Gut und Böse und auch die Lehre von Belial – dem Satan – der über die irdischen Gefilde herrscht. Die strickte Teilung der Essener zwischen Gut und Böse, in gute Menschen und böse Menschen, über Verworfene und Erwählte, über Gott und Satan, über gute Engel und böse Engel, über Himmel und Hölle findet hier seine Grundlage: 1. QS 3, 18 – 25: „Und Er schuf den Menschen zur Herrschaft über den Erdkreis und bestimmte ihm zwei Geister, um darin zu wandeln bis zur vorbestimmten Zeit seiner Heimsuchung. Das sind die Geister der Wahrheit und des Frevels. An der Quelle des Lichtes ist der Ursprung der Wahrheit, aber aus dem Born der Finsternis kommt der Ursprung des Frevels. In der Hand des Fürsten des Lichtes liegt die Herrschaft über die Söhne der Gerechtigkeit, auf den Wegen des Lichtes wandeln sie. Aber in der Hand des Engels der Finsternis liegt alle Herrschaft über die Söhne des Frevels, und auf dem Wege der Finsternis wandeln sie. Und durch den Engel der Finsternis kommt Verirrung über alle Söhne der Gerechtigkeit, und alle ihre Sünde, Missetat und Schuld und die Verstöße ihrer taten stehen unter der Herrschaft, entsprechend den Geheimnissen Gottes bis zu Seiner Zeit. Und alle ihre Plagen und die festgelegten Zeiten ihrer Drangsal stehen unter der Herrschaft seiner Anfeindung. Und alle Geister seines Loses suchen die Söhne des Lichtes zu Fall zu bringen. Aber der Gott Israels und der Engel seiner Wahrheit hilft den Söhnen des Lichts.“
Hier haben wir die gesamte Theologie der Essener in einem kurzen Überblick zusammengefasst. Die Erwählten kämpfen nicht mit irdischen Mächten, nein, sie kämpfen gegen Satan, der sich der Menschen – freilich nach Gottes Vorherbestimmung – bedient, um die die Söhne des Lichtes vom rechten Weg abzubringen. Paulus hat nicht nur Sinngemäß, sondern auch wörtlich diese essenische Theologie übernommen, die so dem Judentum fremd war. Mehr noch, nicht mehr ich selbst bin für meine Sünden verantwortlich, sondern der Belial und seine Anhänger sind diejenigen, die das verursacht haben. Unsere Welt ist so schlecht, weil Belial und seine Anhänger die Gewalt über diese Erde haben. Wir müssen uns von dieser Herrschaft, durch ein abgesondertes Dasein, fern halten aber nicht dagegen offen und öffentlich ankämpfen, denn Gott hat seine Zeit dafür festgelegt. Für die „Elite“ Gottes heißt das ganz praktisch diese Weltordnung die von Gott festgelegt wurde ohne Nachfragen zu akzeptieren aber selbst sich soweit als möglich den Weisungen Gottes für die Erwählten unterzuordnen.
Die Essener lebten also faktisch in zwei Welten. Einer Welt Satans – des Fleisches – und in einer Welt Gottes – des Geistes – (1. QH 4, 29 – 30). Da nun auch der Erwählte in die Welt des Fleisches geworfen wurde und hier den Mächten der Welt ausgeliefert ist (siehe oben 1. QS 3, 18 – 25) und trotz all seiner Bemühungen fern ab den Ansprüchen der Heiligkeit Gottes sein Dasein fristen musste (so realistisch waren auch die Essener um dies zu erkennen) wurde davon ausgegangen, dass der Mensch in seinem Grundwesen schlecht und böse, schwach und schuldig ist. Und das hat Widerrum auch einen Hintergrund: „Was vermag das Fleisch im Vergleich dazu (zu Gott)? Welches Lehmgebilde vermag es, so große Wunder zutun? Ist doch die Sünde vom Mutterleib an und bis ins Alter in der Untreue Schuld. Ich erkannte, dass nicht beim Menschen die Gerechtigkeit liegt und nicht beim Menschenkind vollkommener Wandel; bei dem Höchsten Gott sind alle gerechten Werke, aber der Wandel des Menschen ist unstet, außer, Gott hat es ihm durch den Geist bewirkt, den Wandel zu vervollkommnen für den Menschen, auf dass alle seine Werke erkennen die Macht seiner Macht und die Fülle seines Erbarmens gegen alle Söhne seines Wohlgefallens“. (1. QH 4, 29 – 33)
Der Mensch ist sündig vom Mutterleib an und doch bei den Erwählten ist der Mensch zugleich erwählt vom Mutterleib an. Das ist kein Widerspruch, sondern folge der Lehre der Prädestination. Wir sind zwar in dieser Welt aber eigentlich nicht von dieser Welt, um es mit Paulusworten auf den Punkt zu bringen. Wenn mein Fleisch sündigt, dann bin ich es nicht, sondern das Fleisch ist es, das der Herrschaft des Satans unterworfen ist. Und doch sind alle meine Werke vor Gott gerecht, weil ich sie aus Gottes Geist tue. Logischer Weise sind von den Kindern der Finsternis alle Werke schlecht, egal wie gut sie erscheinen mögen, weil sie eben nicht aus Gottes Geist durch Erwählte getätigt sind. Sie sind fleischlich und verwerflich. Alles was aus der Gesinnung des Fleisches kommt ist sündig, vom käuflichen Erweb eines Gegenstandes bis hin zur Sexualität. Ja, selbst Barmherzigkeit gegenüber dem ungeliebten Sohn der Finsternis muß letztlich sündhaft und fleischlich sein.
Der Essener soll aber nicht dem fleischlichen anhaften, sondern dem geistigen verpflichtet sein und auch aus dieser – seiner – Perspektive auf dieser Welt agieren. Der Geist muß sich über das menschlich verdorbene erheben können, erst dann wird er Vollkommenheit im Sinne des essenischen Gottesbildes erreichen. Allein gute Werke sind hier nicht gefragt, sondern einzig die richtige Geisteshaltung gegenüber getätigten Werken, die es gut abzuwägen gilt. Es galt also nicht gänzlich passiv zu sein, sondern seine Werke in den Dienst Gottes – natürlich nach essenischen Verständnis – zu stellen.
Was uns hier begegnet und gänzlich an Parallelität bei der Theologie des Paulus zum tragen kommt ist ein Weltbild, dass schon vor den Essenern sich in apokalyptischen Kreisen und dessen Schriftgut (z.B. Henochbuch) auszubilden begann. Der Einfluß des Hellenismus ist besonders in der Dualitätslehre, Prädestinationslehre und auch in der Erbsündenlehre unübersichtlich. Denn all dies sind Elemente die in hellenistischen Kulten und mehr noch in der hellenistischen Philosophie eine sehr entscheidende Bedeutung hatten. Ein Fakt, den schon Philo mit größter Genugtuung bei den Essenern feststellte. Und das Josephus erstaunt feststellte (A.T. XV 37), dass die Lehren des Pythagoras bei den Essenern fast identisch sind, mag darüber Aufschluss geben, welcher vielfältige Einfluss auf die Essener wirkte.
Es folgt Teil 4.
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