Vermögen gegen Ansehen und Absolution

Beilstein Wie ein Vater, der seine eigene Tochter missbraucht hatte, in der Spätregen-Mission eine Gemeinschaft fand
Von Christian Gleichauf


Das Glaubenshaus Libanon der Spätregen-Mission in Beilstein: Wer hier finanzielle Mittel einbrachte, hatte in der Regel ein gutes Standing.


Wann immer über die Spätregen-Mission berichtet wird, werden bei Gisela K. (Name geändert) schmerzhafte Erinnerungen wach. "Ich muss das jetzt loswerden", beginnt die 82-Jährige das Gespräch mit unserer Zeitung. Die sektenähnliche Glaubensgemeinschaft erlebte sie zwar nur aus der Beobachtung ihres Vaters. Doch was sie sah, habe eine riesige Enttäuschung hinterlassen.

Ihre Kindheit endet früh
Die Geschichte beginnt Anfang der 1950er Jahre, noch bevor die Spätregen-Mission in Deutschland Fuß fasst. Für Gisela K. endet die Kindheit früh. Weil ihre Mutter gesundheitlich angeschlagen ist, soll das Mädchen schon im Alter von elf, zwölf Jahren für seine jüngeren Geschwister sorgen. Sie verlässt die Schule vorzeitig und ohne Abschluss, um zu Hause zu arbeiten.
Als sie 13 ist, missbraucht ihr Vater sie sexuell. "Meine Mutter hat es mitbekommen, sie hat getobt." Doch ihr Vater habe nur gesagt, man dürfe mit dem Kind doch wohl noch "Hoppe hoppe Reiter" machen. Mit 16 verlässt sie das Elternhaus und findet Unterstützung in Heilbronn-Böckingen bei ihren Großeltern. Sie arbeitet, holt ein Schuljahr nach, arbeitet weiter, findet ihren Ehemann.

Der erste Eindruck war nicht gut
Um das Jahr 1970 kommt ihr Vater erstmals in Kontakt mit der Spätregen-Mission in Beilstein. "Ein Arbeitskollege hat ihn mitgenommen. Nach dem ersten Besuch hat er das alles noch komplett abgelehnt", erzählt die 82-Jährige. Doch schnell sei ein Sinneswandel erfolgt. Und als ihre Mutter stirbt, findet der Vater in der Glaubensgemeinschaft eine neue Frau.


Gleich zum Prediger geworden
Der Vater genießt die Anerkennung im Glaubenshaus. Handwerker wie er sind gefragt. Mit dem Vermögen, das er in die Spätregen-Mission einbringt, gehört er zu denjenigen, die in den Gottesdiensten als Prediger "auf der Plattform" Platz nehmen dürfen. Statt eines Zwölf-Quadratmeter-Zimmers, wie es die einfachen Bewohner des Glaubenshauses zugewiesen bekommen, darf er sich eine komfortable Wohnung ausbauen.

In den 1970ern werden in der Spätregen-Mission regelmäßig Kinder und Jugendliche missbraucht. Der Vater, der sich an seiner eigenen Tochter verging, gehört möglicherweise nicht zu diesen Tätern. Sollten ihn aber Gewissenbisse geplagt haben, so konnte er in der sektenähnlichen Gemeinde auf Absolution hoffen.
Das zeigt nicht zuletzt der Fall eines Mädchens, das als Kind durch einen Prediger der Spätregen-Mission in Südafrika missbraucht wurde. Von ihrer eigenen Familie wie auch von Verantwortlichen der Spätregen-Mission hörte sie daraufhin, dass sie diesen Missbrauch selbst gesucht habe und büßen müsse.

Zwei-Klassen-Gesellschaft
Ähnliches beschreiben auch Opfer aus Beilstein. Einfache Leute wurden unter Druck gesetzt, klein gehalten, sollten buchstäblich in "Sack und Asche" Buße tun. Jene, auf deren Vermögen man hoffen durfte, wurden dagegen umschmeichelt und mit Nachsicht behandelt. "Ich bekam mit, dass die zwei jeden Monat zur Bank gefahren wurden, 1200 Mark in bar abhoben und diese der Mission übergaben", erzählt Gisela K.

Lebensabend im spärlich eingerichteten Zimmer
Das alles endete wohl an dem Punkt, an dem nichts mehr zu holen war. "Mein Vater hatte mir anfangs noch erzählt, wie er seinen Lebensabend in einem tollen Altenheim im Schwarzwald verbringen dürfe, mit Schwimmbad", erinnert sich Gisela K. Als sie ihn Jahre später dort im Glaubenshaus Bethesda besuchte, fand sie ihn in einem kargen Zimmer mit Bett und Schrank. Vom Vermögen der Familie war da nicht mehr viel übrig.