@Zeuge
Eckhart folgt lediglich einem einfachen Gedanken. Er möchte die Heilige Schrift(en) mit den natürlichen Gründen der Philosophie auslegen. Das ist etwas ausgesprochen vernünftiges, bedeutet es doch, dass das, was als Wahrheit erkannt ist, einer „anderen Wahrheit“ nicht widersprechen darf, denn Wahrheit ist eben Wahrheit. Das heißt dann aber auch für uns Heutige, dass die Auslegung der Bibel unmöglich im Widerspruch zu den Erkenntnissen moderner Naturwissenschaft stehen darf und das geht nur auf allegorischen Wege, aber nicht, wenn man die Bibel wortwörtlich verstehen möchte und dazu einen wilden Cocktail, aus aus dem Zusammenhang gerissenen Bibelversen mixt und den dann als letztbegründende Wahrheit serviert und alle in die Hölle fahren lässt, die dieses Gebräu nicht trinken mögen.
Nehmen wir z.B. den Bibelvers aus Matthäus 5,3 auf den sich Eckharts Predigt zwei Posts zuvor bezog: Selig sind die Arm an Geist, denn ihnen wird das Himmelreich gehören.
Bibelgelehrte gehen davon aus, dass Jesus das so niemals gesagt haben wird und erklären ihn stattdessen dahingehend, dass Jesus ursprünglich gesagt habe: „Selig sind die Armen, denn sie bekommen Land”. So steht der Satz bei Lukas; er hätte dann die ältere Fassung bewahrt. Dann hätte der historische Jesus Bodenreform versprochen, Landverteilung an die kleinen Leute. Die Umwälzung blieb aber aus, die machtvolle Wiederkehr Jesu verzögerte sich. Die Gemeinde musste den Ausspruch Jesu umdeuten; sie hat ihn spiritualisiert. Die armen Menschen, mit denen der historische Jesus sprach, hätten mit „Armut im Geiste” nichts anfangen können. Aber diese sekundäre und kompliziertere Fassung steht bei Matthäus; Eckhart erklärt sie aus seiner Theorie der Armut, unbekümmert um philologisch-historische Fragen.
Das ist völlig legitim, weil es hier nicht um historische Genauigkeit und Präzision geht, sondern um die Stellung des Menschen zu Gott, oder andersrum, um die Stellung Gottes zum Menschen. Grundlegend dreht sich also alles um die Fragen: Gibt es einen Gott und wenn ja, was geht mich das an? Diese Fragen kann jeder Mensch und das völlig unbelastet von jeglicher Heiligen Schrift stellen und entsprechend stellt er sie für gewöhnlich auch.
Ein Jeder in seiner (individuellen) Weise.
Jesus wird sich diese Fragen wohl auch gestellt und beeinflusst von seinem jüdischen Glauben und deren Tradition auch beantwortet haben. Aber über den historischen Jesus lassen sich nun mal keine präzisen Aussagen tätigen, weil die über ihn gemachten Aussagen immer intentional gefärbt sind und man sich folglich trefflich streiten könnte, was Jesus denn nun genau gesagt habe, wie er es verstanden wissen wollte und wer er denn eigentlich nun wirklich war. Am Ende bleibt uns ehrlicher Weise nur zuzugeben, dass wir keinen blassen Schimmer vom historischen Jesus haben und z.B. alle von Dir zitierten Bibelverse aus dem Johannesevangelium mehr Fragen aufwerfen, als sie beantworten. Schließlich ist es gerade dieses Evangelium, das entscheidend ein anderes Jesusbild malt, als die drei Übrigen.
Dadurch wird es nicht uninteressant (vielleicht im Gegenteil), aber es erspart uns auch nicht die beiden Fragen weiterhin stellen zu müssen, möge es auch im Kontext mit diesem Evangelium sein und da heißt es auch z.B.: Ich bin in meinem Vater, ihr seid in mir, und ich bin in euch. (14,20), oder: Aber ich bitte nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben. Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir. (17,20–23)
Hier wird die Einheit des (der) Menschen in Gott betont und Eckhart folgt diesem Gedanken ohne dem historischen Jesus irgendwelche übernatürlichen Fähigkeiten andichten zu wollen, vermöge derer er eine Einheit herstellen könnte, die zuvor nicht bestanden hätte.
Er nennt diesen Gedanken in Anlehnung an die Dreieinigkeitslehre auch gerne „Sohnerkenntnis“ und meint damit letztlich die Einsicht in die Geschaffenheit und also Vergänglichkeit aller Erkenntnis. Genauer: Nur hier in den weltlichen Strukturen hat das Göttliche ein Sein und kann erkannt werden bzw. sich selbst erkennen. Es ist aber nur dann eine wesenhafte Selbsterkenntnis des Göttlichen und damit eine Erkenntnis des Sohnes, wenn darin gleichzeitig erkannt wird, dass auch diese höchste Erkenntnis nur geschaffen und vergänglich ist, so dass sie stets funkenhaft ist (Eckhart vergleicht die Sohnerkenntnis oft mit einem Fünklein) und sofort wieder in einem Heiligen Geist vergeht, das wiederum in einer durch dieses vollkommene Vergehen neuen, ursprünglichen Erkenntnis erkannt wird usw.
Nur hier in dieser Erkenntnis des Sohnes ist sein Gebären zugleich sein Innebleiben und sein Innebleiben ist sein Ausgebären. Es bleibt immer das Eine, das in sich selber quillt. Dieses Quillen ist die Liebe, die Eckhart im Sinn hat. Es ist nicht die Liebe zwischen Kreaturen und auch nicht die zwischen einem Göttlichen und den seienden Kreaturen in der Welt, sondern die des Göttlichen in sich selbst und zwar als fortlaufender Wechsel im ursprünglichen und kürzesten Entstehen und Vergehen weltlicher Strukturen im Einen oder Absoluten, so dass hier Einheit und Dualität ineinander fallen.
Das ist ein konkreter Ansatz zur Beantwortung der Frage nach Gott und der Frage was mich das dann angeht. Dabei wird aber keine positive Aussage über Gott getroffen, die sich anmaßt bestimmen zu können, wer oder wie Gott sei, sondern jegliche Bestimmbarkeit wird von ihm ferngehalten und wissenschaftlich begründet, warum das so sein muss. Eckharts Philosophie ist zunächst nämlich Erkenntniskritik und darin ist er hochmodern und toppaktuell! Da steht er nicht in Finsternis wie Du meinst, sondern im hellsten Licht, weil sowohl die Neurowissenschaften, als auch die Quantenphysik nahe legen, dass Eckhart recht haben könnte und alle Erkenntnis letztlich konstruiert, geschaffen und vergänglich ist und unser Erkenntnisapparat nicht dazu in der Lage ist die Realität zu erkennen. Wenn wir aber die Realität nicht erkennen können, können wir auch Gott nicht erkennen und folglich auch keine gültige Aussage über ihn treffen, was bedeutet, dass die Eckhartsche Sohnerkenntnis die Grenzlinie, den kürzesten Punkt zwischen Gottes Reich und Welt markiert, so wie wir sie erleben und erkennen können. Oder wie Jesus sagte: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich.
LG
Provisorium
Lesezeichen